Klimaplan mit Freiflugschein

Im Dezember 2015 legte der regierende Senat der Freien und Hansestadt Hamburg der Bürgerschaft seinen ersten Klimaplan (FHH-Drs. 21/2521) vor. Darin findet sich bezüglich des Luftverkehrs als Langfristperspektive für das Jahr 2050 folgende (lapidare) Aussage:Der Luftverkehr wird auf der Grundlage von erzielten Fortschritten auf internationaler Ebene klimafreundlich ausgestaltet sein“. Weder wird konkretisiert, was mit „klimafreundlich“ gemeint ist, noch werden für den hauseigenen Flughafenbetrieb Maßnahmen zur Belastungsreduzierung genannt!

Die erste Fortschreibung des Hamburger Klimaplans erfolgte vier Jahre später (FHH-Drs. 21/19200). Darin werden – nach Auffassung des Senats – angesichts der aktuellen Entwicklungen neue Klimaschutzziele für Hamburg mitsamt sektorenbezogenen Zielen festgesetzt und das erforderliche Maßnahmenportfolio zum Erreichen der anspruchsvollen Ziele definiert; sowohl für den Klimaschutz als auch für die Anpassung an den Klimawandel. Klimaplan mit Freiflugschein weiterlesen

Am Boden bleiben

Das Hamburger Abendblatt (HA vom 13.09.19) – Hofberichterstatter der Luftverkehrswirtschaft – stellt sich (und der/dem geneigten Lesenden) die Frage, wie (Flug-)Passagiere ihre CO2-Bilanz „verbessern“ können, da Fliegen dem Klima schadet. Statt auf das Naheliegende zu kommen, weniger zu fliegen, empfiehlt der Wirtschaftsredakteur, Wolfgang Horch, zur Gewissensberuhigung eine Kompensationszahlung (Ablasshandel) vorzunehmen. NoFlyHAM ergänzt und korrigiert die Antworten, die das HA vorgegeben hat:

Abbildung: Hildegard von Bingen auf einer Ablassurkunde für das Kloster Rupertsberg (1342); gemeinfrei

Wie groß ist der Umweltschaden durch das Fliegen?

Allein der Luftverkehr innerhalb Deutschlands verursacht einen jährlichen externen Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschaden von 1,3 Milliarden Euro – zu zahlen durch die Allgemeinheit, da keinerlei „Einpreisung“ (Internalisierung) dieser Kosten über das Flugticket stattfindet. Etwas mehr als die Hälfte (56 %) des Schadens des Luftverkehrs ist auf die Klimakosten zurückzuführen. Weitere 21 % entfallen auf vor- und nachgelagerten Prozesse wie z.B. Herstellung, Unterhalt und Entsorgung von Energieträgern (Treibstoffe, Strom), Fahrzeugen, Verkehrsinfrastruktur), 16 % auf Luftschadstoffe, 5 % auf den Lärm, 1 % sind Natur- und Landschaftskosten und rund 0,3 % gehen auf Unfälle zurück. Es ist allerdings zu beachten, dass der rein inländische Luftverkehr nur 3,6 % der gesamten luftverkehrsbedingten Belastungen von deutschen Flughäfen ausmacht. Der Gesamtschaden fällt dementsprechend noch wesentlich höher aus …

Welchen Beitrag können Passagiere zur Verbesserung leisten?

Der überwiegende Teil der Luftverkehrspassagiere übt ein preisgetriebenes Mobilitätsinteresse zu Lasten Dritter aus. Von den 24 deutschen Verkehrsflughäfen sind laut Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr 2019 fast 58,9 Millionen Passagiere – zumeist im Zusammenhang mit Freizeitflügen – abgehoben. Dies waren 4,1 % mehr als im Vorjahreszeitraum; ein neuer Allzeit (Negativ-)Rekord. Die Zahl der Passagiere mit Inlandsflügen stieg um 2,3 % auf rund 11,6 Millionen; das Passagieraufkommen ins Ausland nahm sogar um 4,5 % auf knapp 47,3 Millionen zu. Die einfache Antwort auf die Frage, welcher (sinnhafte) Beitrag zu erbringen ist, lautet, deutlich weniger zu fliegen!

Wie funktioniert Atmosfair?

Im Jahr 2018 sind 97 % der Weltbevölkerung nicht geflogen. Fliegen ist (und bleibt) im globalen Maßstab eine Luxus-Mobilitätsform zu Lasten Dritter. Damit die Flugklientel kein schlechtes Gewissen bekommt, gibt es beispielsweise Atmosfair. Prinzip hierbei ist, dass die Flugpassagiere ihre CO2-Emissionen durch eine Kompensationsleistung (z.B. Verbreitung effizienter Kochherde, Bau von kleinen Biogasanlagen, Projekte zur Nutzung regenerativer Energien, Umweltbildung) „neutralisiert“ bekommen. Da es sich bei der (freiwilligen) Zahlung um eine Spende handelt, kann der Betrag jedoch steuerlich abgesetzt werden. Zugespitzt zahlt die Allgemeinheit daher nicht nur den durch die Umherfliegerei entstandenen Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschaden, sondern zusätzlich die Abmilderung der individuellen Flugscham.

Was bietet Lufthansa an?

Der deutsche Platzhirsch der Luftfahrtbranche setzt vor allem auf die Sackgassentechnologie der synthetischen Kraftstoffe und blendet hierbei die katastrophale Energiebilanz bei deren Herstellung aus. Wie es sich gehört, kostet das gute Fluggewissen bei Lufthansa deutlich mehr als bei Atmosfair (s.u.). Für einen Hin- und Rückflug zwischen Hamburg und München werden pro Person immerhin 73,50 Euro fällig. Dieser Preis deckt jedoch nur 48 % der tatsächlich entstehenden individuellen Gesundheits-, Umwelt- und Klimakosten ab.

Was machen andere Airlines?

Insbesondere die Billigfluggesellschaften (Low Cost Carrier) ignorieren das Thema „Schädlichkeit des Fliegens“ weitgehend. Da ihr Geschäftsmodell brutal auf Kostenminimierung ausgerichtet ist, bleiben Gedanken zum Schutz von Mensch und Umwelt nahezu in Gänze ausgeblendet. Die schwedische Fluggesellschaft SAS kompensiert den luftverkehrsbedingten CO2-Fußabdruck der Stammkunden, die ihr Flugticket unter einer Vielfliegernummer gebucht haben, automatisch. Für Flugpassagiere unter 26 Jahren bezahlt SAS die CO2-Kompensation je Flug aus eigener Kasse. Drogendealer haben ein vergleichbares Geschäftsmodell, um ihre Kunden „anzufixen“ …

Warum setzt Lufthansa auf synthetischen Kraftstoff? Wie entsteht er?

Der weltweite Verbrauch des gesundheitsschädlichen und umweltgefährdenden Flugzeugtreibstoffs Kerosin – verursacht durch den kommerziellen Luftverkehr – betrug im vergangenen Jahr 356 Mrd. Liter. Bei dessen Verbrennung wurden knapp eine Milliarde Tonnen klimarelevantes Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestoßen. Gemäß Kostensatz des Umweltbundesamtes (UBA) von 180 Euro pro Tonne CO2, entstand hierdurch ein weltweiter luftverkehrsbedingter Klimaschaden von 177 Mrd. Euro.

Bei der PtL-Technik handelt es sich um altbekannte Verfahren (Sabatier-Prozess, Fischer-Tropsch-Synthese), die sich jedoch aufgrund des immensen Energieaufwandes – und der damit verbundenen sehr hohen Erstellungskosten – in den vergangenen 100 Jahren nicht durchsetzen konnten. Ursache für diese betriebswirtschaftliche nicht aufhebbare Schieflage ist der energetisch hochgradig ineffiziente Herstellungsprozess. Bei der Umwandlung von Windenergie in luftverkehrsbezogene Vortriebskraft gehen über 90 % der Ausgangsenergie verloren. Eine derartige Verschwendung von wertvoller, nicht fossiler Energie stellt einen Umweltfrevel dar.

Was halten Umweltexperten von Power-to-liquid?

Aufgrund der Ineffizienz des Herstellungsverfahrens ist PtL-Kerosin strikt abzulehnen. Nicht fossile Energieträger müssen direkt eingesetzt werden. Die meisten Personenkilometer pro Megawattstunde (MWh) sind über den schienengebundenen Verkehr möglich. Selbst der personengebundene batterieelektrische Autoverkehr hat einen wesentlich besseren Wirkungsgrad als das „grüne Fliegen“.

Das häufig sinnarme Hin- und Herfliegen wird in Deutschland staatlich hoch subventioniert anstatt die Luftverkehrsbranche für die von ihnen erzeugten Umweltschäden gemäß Verursacherprinzip konsequent zur Rechenschaft zu ziehen. Durch die Ausnahme des Flugbenzins von der Energiesteuer und die „Befreiung“ internationaler Flugtickets von der Mehrwertsteuer schenkt der Staat den Fluggesellschaften jedes Jahr fast zwölf Milliarden Euro. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission belegt, dass allein durch die Besteuerung von Kerosin in Europa die Flugemissionen um 11 % reduziert werden könnten – ohne negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze oder die Wirtschaft.

Selbst unter der (irrigen) Annahme, dass die Herstellung von PtL-Kerosin nicht in Konkurrenz zur hochwertigeren Nutzungsformen stehen würde – der Anteil der „regenerativen“ Energie am gesamten Strommix innerhalb Deutschlands lag im vorvergangenen Jahr bei lediglich 41 % – würde die Verbrennung von PtL-Kerosin (bestenfalls) CO2-neutral, nicht jedoch klimaneutral sein.

Rechnerisch ist die weltweite zivile Luftfahrt derzeit zwar „nur“ für knapp 3 % der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich; die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs beruht aber nicht nur auf den CO2-Emissionen. Flugzeuge stoßen auch Stickoxide aus, die unter dem Einfluss der Sonne zur Bildung von Ozon führen, welches wiederum in einer Flughöhe von 9.000 bis 13.000 Metern seinerseits als starkes Treibhausgas wirkt. Daneben verursachen auch die vom Flugzeug ausgestoßenen Rußpartikel und Wasserdampf die Bildung von Kondensstreifen sowie Zirruswolken, die ebenso eine aufheizende Wirkung haben. Zu beachten ist daher der RFI-Faktor (Radiative Forcing Index) von 2,7, um den erhöhten Treibhauseffekt von Flugzeugemissionen in großen Flughöhen angemessen abzubilden. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt daher den Anteil des zivilen Flugverkehrs am Treibhauseffekt (d.h. dem anthropogen induzierten rapiden Klimawandel) aktuell auf bis zu 8 %. Ohne klimaschützende Maßnahmen (z.B. der Einführung einer Kerosinsteuer sowie einer CO2-Abgabe) könnte sich dieser Anteil innerhalb weniger Jahre auf 15 % steigern.

Warum fliegt Lufthansa nicht immer mit synthetischem Kraftstoff?

Die internationale Umweltorganisation „Transport & Environment“ hat errechnet, dass, um 50 % der im Jahr 2050 innerhalb Europas für die kommerzielle Luftfahrt benötigten Kerosin-Menge mittels PtL-Verfahren herzustellen, 880 Terrawattstunden (TWh) zusätzliche elektrische Energie notwendig wären. Dies entspricht ca. 24 % des aktuellen Strombedarfs insgesamt innerhalb der Europäischen Union von ca. 3.655 TWh. Etwas plakativ ausgedrückt: Damit der Luftverkehr sich zukünftig ein „grünes Klimagewissen“ machen kann, indem er zu 100 % mit PtL-Kerosin fliegt, müssten bei der Hälfte aller Haushalte sowie dem Gewerbe und der Industrie nicht nur die Lichter ausgehen, sondern die gesamte Stromversorgung gekappt werden.

Noch absurder wird es, wenn man versucht dem Ansatz Glauben zu schenken, dass das PtL-Kerosin mittels Überschuss-Windenergie erzeugt werden könnte: In Deutschland wurden 2017 insgesamt 600 TWh Strom gebraucht/verbraucht. Davon wurden 105,5 TWh in Windkraftanlagen erzeugt (Onshore 87,2 TWh, Offshore 18,3 TWh); dies entspricht 17,6 %. Die Ausfallquote, d.h. die abgeregelte Einspeisung sämtlicher Erneuerbaren Energien, betrug 2017 „lediglich“ rund 5,6 TWh.

Allein die Deutschen Fluggesellschaften benötigten 2017 für ihren Flugbetrieb 10,4 Mrd. Liter Kerosin. Um diesen elektrisch herzustellen, wären ca. 284 TWh Strom erforderlich. Die sogenannte Überschuss-Windenergie könnte daher, unter der sehr eignungshöffigen Annahme, dass dieser Anteil zu 100 % für PtL-Kerosin nutzbar wäre, lediglich 2 % des Kerosinbedarfs abdecken!

Wie viel kompensieren die Deutschen?

Der Anteil der Flüge, die mittels Ablasshandel „kompensiert“ werden, liegt im deutlich niedrigen einstelligen Prozentbereich. Sehr viel mehr können es auch nicht werden, da es nicht genügend (qualifizierte) Kompensationsmaßnahmen weltweit gibt. Das derzeitige Kompensationsinstrument dient daher weit überwiegend dem (kurzfristigen) Greenwashing der Luftverkehrsbranche. Angemessen ist es dagegen, die durch den Luftverkehr verursachten externen Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschäden direkt im Flugpreis abzubilden. Eine derartige Kostenwahrheit beträgt beispielsweise für einen Hin- und Rückflug zwischen Hamburg und München pro Passagier 153 Euro. Beim Branchenprimus Atmosfair kostet das „gute Gewissen“ auf einer vergleichbar langen Strecke (Salzburg) dagegen pro Passagier nur 10 Euro …

Symbolträchtiges Bild: Die Choren Industries GmbH war ein deutsches Unternehmen der chemischen Industrie in Freiberg (Sachsen). Das Unternehmen betrieb eine Anlage zur Herstellung von synthetischem Kraftstoff auf der Basis von Biomasse – grundsätzlich vergleichbar zum PtL-Kerosin. Am 8. Juli 2011 hat die Choren Insolvenz angemeldet. Zuvor waren mindestens 30 Millionen Euro öffentliche Fördermittel in ein Potemkinsches Dorf geflossen. Als schier unlösbares Problem hat sich der Maßstabwechsel von einer einfachen Demonstrationsanlage in die industrielle Produktion erwiesen. Ein marktfähiges Produkt konnte nie geliefert werden …

 

 

Kein Recht auf Umweltverschmutzung und Klimabelastung !

Seit 1994 verpflichtet das deutsche Verfassungsrecht in Art. 20a des Grundgesetzes den Staat dazu, die Umwelt vor schädigenden Einwirkungen zu bewahren. Umwelt- (und Klima-)schutz sind jedoch kein Grundrecht, sondern lediglich eine sogenannte „Staatszielbestimmung“, das heißt ein Programmauftrag für die öffentliche Gewalt. Gesetzgeber und Verwaltung werden durch den Art. 20a GG zwar allgemein verpflichtet, für einen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme zu sorgen, ein bestimmtes gesetzgeberisches oder zwingendes verwaltungsmäßiges Handeln ist hieraus aber nur bedingt (d.h. nur in konkreten Einzelfällen) gerichtlich einklagbar – leider. Das Umweltrecht ist in Deutschland gegenüber anderen Staatszielen (z.B. dem Wirtschaftswachstum) wesentlich unterentwickelt.

Bildnis: Briefmarke der Deutschen Bundespost zum Thema „Umweltschutz“ von 1981 (gemeinfrei, scanned by NobbiP)

Das Protokoll von Kyoto der Vereinten Nationen über Klimaänderungen ist ein am 11. Dezember 1997 beschlossenes Zusatzprotokoll zur Ausgestaltung der Konvention zum Schutz des Weltklimas. Das am 16. Februar 2005 in Kraft getretene Abkommen legt erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) fest, welche die hauptsächliche Ursache der globalen Erwärmung sind. Der Handel mit „Emissionsrechten“ ist eines der im Kyoto-Protokoll verankerten Instrumente. Artikel 17 des Kyoto-Protokolls betont, dass der Emissionshandel ein zusätzliches Element (neben direkten Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen) darstellen soll. Damit soll verhindert werden, dass sich Staaten nur darauf verlassen, ihre Reduktionsverpflichtungen von anderen Teilnehmern am Emissionshandel einzukaufen.

Der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism – CDM) ist einer der drei vom Kyoto-Protokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen. Ein den Emissions-Reduktionsverpflichtungen unterliegendes „Industrieland“ kann in einem „Entwicklungsland“ durch die dortige Umsetzung von Emissions-Reduktionsmaßnahmen sogenannte CERs (Certified Emission Reductions) erwirtschaften. Ein CER belegt eine Emissionsreduktion um eine Tonne CO2-Äquivalent. Auf diese Weise erworbene CERs können dann auf die Emissionsziele im eigenen Land angerechnet werden.

In der Europäischen Union sind die nationalen Treibhausgasemissionsreduktionsziele auf die großen privatwirtschaftlichen THG-Emittenten umgelegt worden. Dies geschieht über den EU-Emissionshandel (EU-ETS), der zu einem wesentlichen Teil die Nachfrage nach CERs speist. Der Handel mit Treibhausgasemissionen innerhalb der Europäischen Union hat das Ziel, den Schadstoffausstoß – unter möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten – zu senken. Hierzu wird eine bestimmte Anzahl an „Emissionsrechten“ zentral ausgegeben und anschließend dezentral gehandelt. Das EU-ETS wurde 2003 vom Europäischen Parlament und dem EU-Rat beschlossen und trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Aktuell umfasst und „begrenzt“ das EU-ETS den Kohlendioxidausstoß von rund 11.000 Produktionsanlagen in 31 europäischen Ländern (derzeitige 28 EU-Staaten plus Liechtenstein, Island und Norwegen) in der Stromerzeugung sowie einigen Sektoren der Industrie (z.B. Chemische Industrie; Eisen- und Stahlverhüttung; Kokereien und Raffinerien; Zement- und Kalkherstellung; Glas-, Keramik- und Ziegelindustrie; Papier- und Zelluloseproduktion) sowie der innereuropäischen Luftverkehrswirtschaft (s.u.). Allerdings werden damit lediglich ca. 45 % der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU erfasst.

Das European Union-Emissions Trading System beruht darauf, dass ein Betreiber einer Industrieanlage für jede Tonne emittiertes CO2 ein Umwelt-Verschmutzungszertifikat vorlegen muss. Jedoch wird der Großteil der Zertifikate den Anlagenbetreibern kostenlos zugeteilt, lediglich der verbleibende Rest versteigert. Bestenfalls funktioniert EU-ETS daher nach dem Prinzip „beschränken und handeln“. Im Jahr 2013 lag der „Deckel“ (Cap) bei 2,084 Milliarden Verschmutzungszertifikaten. Vorgesehen ist, dass diese Emissionsmenge bis 2020 um jährlich 1,74 %, ab 2021 um jährlich 2,2 % sinkt. Die vorgesehenen Reduktionsschritte sind jedoch wesentlich zu gering, um die Ziele des Klimaschutzabkommens von Paris (COP21) zu erreichen. Auch der Projektionsbericht der Bundesregierung von 2015 kommt zu dem Schluss, dass EU-ETS lediglich zu einer Minderung der THG-Emissionen um ungefähr eine Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in Deutschland beigetragen hat. Offensichtlich entfaltet EU-ETS keine hinreichende Steuerungswirkung.

Abbildung: Karte weltweiter Flugrouten im Passagierluftverkehr im Jahr 2009 (Von Josullivan.59, CC BY 3.0)

Seit 2012 wird auch der innerhalb Europas stattfindende Luftverkehr in das EU-ETS einbezogen. Fluggesellschaften müssen für einen (sehr kleinen) Teil ihrer ausgestoßenen Treibhausgasemissionen entsprechende Verschmutzungszertifikate kaufen. Jeder Fluggesellschaft wird jedoch eine (übergroße)Freimenge an THG-Emissionen“ jährlich kostenlos zugeteilt. Nur für die Emissionsmengen, die über diese „Freigrenze“ hinausgehen, müssen Zertifikate dazugekauft werden. Als Referenz für die Anzahl an Zertifikaten, die für den EU-Luftverkehr insgesamt vorgesehen sind, dient der jährliche Durchschnitt der branchenbezogenen THG-Emissionen im Zeitraum 2004 bis 2006 (sogenannte „historische Emissionen“). Die Anzahl an aktuellen Zertifikaten für den Luftverkehr beträgt pro Jahr maximal 95 % der „historischen Emissionen“. Eine kontinuierliche Reduktion der Luftverkehrsverschmutzungszertifikate ist (bisher) nicht vorgesehen; damit wird die Branche gegenüber anderen THG-Emittenten ungebührlich privilegiert.

ACHTUNG: Von den THG-Verschmutzungszertifikaten des Luftverkehrs werden lediglich 15 % durch die Mitgliedstaaten versteigert (derzeit zwischen einem Preis von 16 – 29 Euro pro Tonne CO2) und 85 % kostenlos zugeteilt, d.h. verschenkt!

Im Oktober 2013 fasste die ICAO-Vollversammlung den Beschluss, ein globales marktbasiertes Instrument einzuführen, das ab 2020 weltweit (angeblich) ein CO2-neutrales Wachstum im internationalen Luftverkehr ermöglicht. Daraufhin hat das EU-Parlament Anfang 2014 beschlossen, dass der europäische Emissionshandel beim Flugverkehr zunächst bis zum Jahr 2016 auch weiterhin auf innereuropäische Flüge begrenzt bleibt. Im Herbst 2016 einigten sich schließlich alle Mitgliedsstaaten der UN-Luftfahrtorganisation ICAO darauf, das Klimaschutzinstrument CORSIA ab 2020 weltweit einzuführen. Im Jahr 2017 wurde vom europäischen Gesetzgeber beschlossen, das Emissionshandelssystem bis 2023 für den innereuropäischen Flugverkehr fortzuführen. Ob dann CORSIA das EU-ETS ersetzen wird, ist politisch noch nicht entschieden.

Anderer Blickwinkel:

Im Gastbeitrag des Hamburger Abendblattes (HA) vom 31. August 2019 schwadroniert der Vorsitzende des Centrums für Europäische Politik (CEP), Herr Prof. Dr. Lüder Gerken, dass man/frau mit einem Verzicht auf eine Flugreise nach Spanien oder Griechenland kein Gramm Kohlendioxid einsparen könnte. Seiner Ansicht nach hätte selbst die Streichung aller Flüge von Deutschland nach Spanien und Griechenland einen CO2-Reduktionseffekt von (angeblich) null. Seine Ausführungen gipfeln darin, dass man/frau weiterhin durch Europa jetten und sich dabei (bitte) kein schlechtes Gewissen einreden lassen solle. Als „Begründung“ für seine krude CO2-Emissionsthese führt Herr Gerken das EU-ETS an. Ganz offensichtlich hat dieser Mann nicht verstanden, welche massiven Fehlsteuerungen EU-ETS (gleichsam zu CORSIA) beinhalten:

Zu bedenken ist, dass die im Gesamtmarkt vorhandenen CO2-Zertifikate keinen kapazitätsbeschränkenden Einfluss auf z.B. die Stahlproduktion oder den Luftverkehr haben. Sie stellen lediglich einen (marginalen) zusätzlichen Kostenfaktor dar – über Jahre lag der Zertifikatpreis unterhalb von fünf Euro. Mitnichten verhält es sich derart, dass (nach Meinung von Herrn Gerken) weniger Flugverkehr der deutschen Fluggesellschaften zu einem verstärkten Flugverkehrsaufkommen zwischen Polen und Bulgarien führen würde. Gibt es eine für die dortigen Fluggesellschaften lukrative (neue) Flugverbindung, setzen die Fluggesellschaften (bereits jetzt) einfach ihre vorhandenen Zertifikate ein oder kaufen sich eine benötigte Anzahl (für geringes Geld) hinzu. Gleichsam verhält es sich mit der Stahlproduktion. Gibt es am Weltmarkt eine vermehrte Nachfrage nach europäischem Stahl, werden zunächst die von den Unternehmen gebunkerten CO2-Zertifikate angezapft/aufgebraucht, bevor neue dazu gekauft werden.

Ganz aus dem Ruder läuft die „Empfehlung“ von Herrn Gerken, dass ein Verzicht auf einen Karibikflug – im Gegensatz zu einem innereuropäischen Flug – zu einer CO2-Reduktion beitragen kann. Hier verkennt er, dass ein Mittelklasseflugzeug pro 1.000 km Flugstrecke ca. 3.250 Liter Kerosin verbrennt und hierbei 8.970 kg CO2 ausstößt. Unabhängig davon, ob dieser Flug innereuropäisch oder transkontinental stattfindet. Was dieser (hochdekorierte) Luftverkehrslobbyist somit (gezielt) ausblendet, ist die Tatsache, dass Fliegen der (mit Abstand) umweltschädlichste Verkehrsträger ist! Jeder Flugkilometer, der nicht umgesetzt wird, spart CO2 ein und hilft demzufolge dem Klimaschutz.

P.S.:

Trotz der (grundsätzlichen) Reduktionsziele von EU-ETS stiegen die handelspflichtigen THG-Emissionen der von Deutschland verwalteten Luftfahrzeugbetreiber bei Flügen im Europäischen Wirtschaftsraum innerhalb von fünf Jahren von 8,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (2013) auf 9,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (2018) an; d.h. um insgesamt 8,6 %.

P.P.S.:

Das Schweizer Institut INFRAS hat ermittelt, dass die externen Umweltkosten (d.h. der durch die Allgemeinheit zu tragende Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschaden) allein durch den innerdeutschen Luftverkehr im Jahr 2017 insgesamt 1,291 Milliarden Euro betragen haben. Unabhängig davon, ob die Luftverkehrswirtschaft über sogenannte „Verschmutzungszertifikate“ verfügte …

 

CORSIA – Ein Luftverkehrsinstrument zum Austricksen des Klimaschutzes

Das Hamburger Abendblatt hat es erneut getan: Diesmal wurde dem Cheflobbyisten der Luftfahrtbranche, Herrn Klaus-Dieter Scheurle (BDL), eine halbe Seite geschenkt, um gezielt Desinformationen zu verbreiten.

Auf die Frage, ob eine monetäre Kompensation der luftverkehrsbedingt emittierten CO2-Lasten ein moderner Ablasshandel ist, antwortet Herr Scheurle Folgendes: „Der gesamte Luftverkehr ist mit einem Anteil von 2,8 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen nicht der größte Verursacher. Dennoch nehmen wir die Sache ernst und haben schon viel gemacht. Mit der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel seit 2012 und mit dem CO2-Kompensationssystem „Corsia“ ab nächstem Jahr ist der Luftverkehr als einziger Wirtschaftsbereich in ein weltweit geltendes System der CO2-Bepreisung einbezogen. Schon vor fünf Jahren haben wir darüber hinaus der Bundesregierung vorgeschlagen: Erlassen Sie uns die Luftverkehrsteuer und wir investieren die Summe in neue Flugzeuge. Das wäre eine Lösung, den CO2-Ausstoß zu verringern. Oder in den Aufbau von Produktionsanlagen für alternative Kraftstoffe zu investieren. Da gibt es viele Möglichkeiten, dieses Geld sinnvoll einzusetzenCORSIA – Ein Luftverkehrsinstrument zum Austricksen des Klimaschutzes weiterlesen

Gegenrede

„Der Flughafenbetreiber muss den Menschen sagen, welche Zusatzbelastungen er ihnen noch aufbürden will“, großes Sommerinterview mit dem Hamburger Luftfahrtexperten Martin Mosel

Anfang des Monats hat das Hamburger Abendblatt den derzeitigen Geschäftsführer des Hamburger Verkehrsflughafens, Michael Eggenschwiler, interviewt und in bemerkenswert unkritischer Weise dem Flughafen-Chef ausgedehnten Spielraum zwischen Wunsch und Wirklichkeit eingeräumt. Objektivität und Faktentreue sind in diesem Spannungsfeld leider wesentlich zu kurz gekommen. Der Initiativkreis Klima- und Fluglärmschutz im Luftverkehr für Hamburg und Schleswig-Holstein (IK) hat sich mit dem Luftfahrtexperten Martin Mosel zur Entwicklung des innerstädtisch gelegenen Flughafenstandortes getroffen und ihm gleichsam Fragen zur Passagierluftfahrt im Allgemeinen sowie speziell in Hamburg gestellt. Gegenrede weiterlesen

Miles and More

Welterschöpfungstag“, „Weltüberlastungstag“, „Ökoschuldentag“ oder „Erdüberlastungstag“ – alles Bezeichnungen dafür, wie liederlich die Menschen mit dem ihnen anvertrauten Planeten umgehen. Berechnet wird der „Earth Overshoot Day“ aus dem Verhältnis der globalen Biokapazität (d.h. der Menge der innerhalb eines Jahres global zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen) und dem globalen ökologischen Fußabdruck (d.h. der menschlichen Nachfrage an natürlichen Ressourcen innerhalb des betreffenden Jahres). Übersteigt das Ausmaß des ökologischen Fußabdruckes die globale Biokapazität, ist der Erdüberlastungstag erreicht. Danach lebt der Mensch auf Pump zukünftiger Generationen. Im laufenden Jahr 2019 wurde für Deutschland der 3. Mai als Erdüberlastungstag errechnet.

Der Lobbyverband der Deutschen Verkehrsflughäfen (ADV) zelebriert diesen Tag, indem er bekannt geben lässt, dass die Anzahl an Menschen, die über Ostern irgendwo von und nach Deutschland geflogen sind, nochmals um 3 % gegenüber dem Vorjahr angestiegen sei. Dass hierfür auch 2 % mehr Flugbewegungen nötig waren – und damit verbunden mehr Fluglärm und Flugdreck produziert wurde – ist dem ADV herzlich egal. Umweltzerstörung, Artensterben, Klimanotstand: Egal, Hauptsache „in die Luft gehen“! Es gilt das Credo: Bereisen Sie die Malediven, solange diese noch nicht untergegangen sind. Miles and More weiterlesen