Kernproblem: Billigflieger

Das Prinzip der Billigfluggesellschaften stammt aus den USA und wurde dort von Southwest Airlines 1971 eingeführt. Innerhalb Europas übernahm Ryanair dieses Geschäftsmodell im Jahr 1991. Es gibt keine allgemeingültige Definition einer Billigfluggesellschaft, jedoch zahlreiche Merkmale, die auf einen Billigflieger hinweisen:

  • Aggressive Preispolitik, verbunden mit penetranter Werbung
  • Lockangebote mit sittenwidrigen Preisen unterhalb der Kostenschwelle
  • Geringer Organisationsgrad der Mitarbeiter in Gewerkschaften
  • Umgehung von Tarifverträgen
  • Unterdurchschnittliche Bezahlung der Angestellten
  • Grenzüberschreitendes Sozialdumping und Vermeidung von Sozialabgaben
  • Überdurchschnittlicher Anteil an saisonalen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen
  • Überdurchschnittlicher Anteil an Scheinselbstständigen
  • Überdurchschnittliche Arbeitsdichte und Ausweitung ungeregelter Arbeitszeiten
  • Besatzung nur in der gesetzlich geforderten Mindeststärke
  • Manuelle Gepäckverladung (Ablehnung von Rollcontainern)
  • Direkter Passagierein- und -ausstieg (Ablehnung von Passagierbrücken)
  • Minimale Standzeiten ohne Puffer, kaum Pausenzeiten für die Besatzung
  • Gepäckaufgabe sowie Essen und Trinken nur gegen Bezahlung
  • Sitzplatzreservierung nur gegen Aufpreis
  • Verweigerung von Regressansprüchen
  • Überhöhte Stornogebühren
  • Missachtung regionaler Standards zum aktiven Lärmschutz

Im Kern geht es bei der Billigfliegerei darum, mit radikal niedrigen Preisen Fliegen einem Massenpublikum aufzudrängen anzubieten – zu Lasten Dritter. Am innerstädtisch gelegenen Flughafen in Hamburg Fuhlsbüttel wurde die Büchse der Pandora mit Hilfe des Senats im Jahr 2005 geöffnet (vgl. SKA 18/2937 und SKA 18/5544). Seinerzeit ging der Senat davon aus, dass pro einer Million zusätzlicher Fluggäste circa eintausend direkt damit verbundene Arbeitsplätze entstehen würden. Dies ist nachweislich nicht eingetreten.

Folge der geschaffenen Anreizsysteme und Rabattprogramme ist, dass der Anteil der traditionellen Fluggesellschaften (Full Service Carrier – FSC) seitdem maßgeblich abgenommen hat. Betrug der Flugbewegungsanteil von Lufthansa, British Airways, SAS, KLM, Air France, Swiss & Co im Jahr 2006 noch 83,7 %, sank dieser bis 2016 auf nur noch 45,8 %. Im Gegenzug stieg der Anteil der „Billigheimer“ (Low Cost Carrier – LCC und Low Fare Carrier – LFC) von 16,3 % im Jahr 2006 auf 54,2 % im Jahr 2016. Dies bedeutet, dass mittlerweile mehr als die Hälfte des Fluglärms und Flugdrecks in Hamburg durch Billigflieger wie Germanwings/Eurowings, Easyjet, Ryanair & Co verursacht wird. Unter den TOP 7 der flugbewegungsstärksten Airlines befinden sich fünf Billigflieger – Ramschflughafen „Helmut Schmidt“!

Abb.: Entwicklung der Flugbewegungszahlen am „Helmut Schmidt“-Flughafen in den Jahren 2006 bis 2016. Die Einstufung als Billigfluggesellschaft („Low Cost Carrier“ & „Low Fare Carrier“) richtet sich nach den Bewertungen des Low Cost Monitors (LCM) des Instituts für Flughafenwesen und Luftverkehr (DLR) in Verbindung mit der SKA 18/5544

Einen zusätzlich faden Geschmack erhält das Ganze dadurch, dass der Senat – auf Grundlage von Auskünften der Flughafen Hamburg GmbH – in der SKA 21/2234 behauptet, dass die Billigfliegeranteile im Jahr 2007 lediglich 1,8 % und im Jahr 2011 ebenfalls nur 3,2 % betragen haben sollen. Für den Zeitraum Januar bis Oktober 2015 gibt der Senat den Billigfliegeranteil mit 13,0 % an. Alle Zahlen weichen gravierend von den tatsächlichen Verhältnissen ab. Wie ist dies möglich?

Aus der SKA 21/2444 erfährt die Öffentlichkeit, dass der Senat – auf Grundlage von Auskünften der Flughafen Hamburg GmbH – nicht den allgemein anerkannten Standard (Low Cost Monitor – LCM) des Instituts für Flughafenwesen und Luftverkehr (DLR) zur Einstufung einer Billigfluggesellschaft verwendet, sondern anstelle dessen lieber auf den Fluglobbyverband „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen – ADV“ setzt. Diese liefert dem Senat offensichtlich genehmere Ergebnisse …

Die „Problemreduzierung auf dem Papier“ scheint System zu haben (siehe SKA 21/7443), denn auch bei der Gesamtanzahl an Flugbewegungen pro Jahr weicht die Senatsmeinung – auf Grundlage von Auskünften der Flughafen Hamburg GmbH – jahresweise zwischen 4 % bis 6 % von der alleinigen der Flughafen Hamburg GmbH ab. Eine Differenz von 6.300 bis 10.300 Flugbewegungen pro Jahr! Da nicht eindeutig ist, wie diese Unbekannten Flug-Objekte zuzuordnen sind, werden sie an dieser Stelle gesondert aufgeführt.

Abb.: Vergleich der Flugbewegungsanzahlen am „Helmut-Schmidt“-Flughafen der Jahre 2006 bis 2016

In sechs von sieben Nächten wird das Betriebsende von 23 Uhr am „Helmut Schmidt“-Flughafen nicht eingehalten (SKA 21/7460). Für die Anwohnerinnen und Anwohner in den An- und Abflugkorridoren sowie im Nahbereich des Flughafens besonders negativ ins Gewicht fallend ist, dass die Billigflieger weit überdurchschnittlich häufig Verspätungen generieren. Drei von vier verspäteten Starts oder Landungen nach 23 Uhr gehen auf deren Konto. Deshalb ist von einer „planmäßiger Verspätung“ auszugehen; das Geschäftsmodell gibt es her (s.o.).

Tab.: Nächtliche Flugbewegungen am Flughafen „Helmut Schmidt“ zwischen 23 Uhr und 24 Uhr in den sechs verkehrsreichsten Flugmonaten des Jahres 2016 und der Anteil der Billigflieger (LCC + LFC) daran.

Fazit: „Massenreise ins Defizit“ titelte der Spiegel 1972 im Hinblick auf die Charterflieger. Im Jahr 2016 bezieht sich dieses Defizit auf soziale und Umweltgerechtigkeit, zu verantworten durch die Masse an Billigfliegern. Es ist gleichsam wichtige wie dringliche Aufgabe der Landes-, Bundes- und Europapolitik, diese ungezügelten Auswüchse wesentlich zu mindern und in nachhaltige Bahnen zu lenken. Bereits jetzt ist es Pflicht der Verwaltung, auf die strikte Einhaltung bestehender Regeln zum Schutz der Bevölkerung (z.B. der Betriebszeiten) zu achten und Missverhalten deutlich spürbar zu ahnden. Regelverstöße dürfen sich betriebswirtschaftlich nicht lohnen!

Abb.: Titelbild des Spiegels, Ausgabe 27/1972