Klimaplan mit Freiflugschein

Im Dezember 2015 legte der regierende Senat der Freien und Hansestadt Hamburg der Bürgerschaft seinen ersten Klimaplan (FHH-Drs. 21/2521) vor. Darin findet sich bezüglich des Luftverkehrs als Langfristperspektive für das Jahr 2050 folgende (lapidare) Aussage:Der Luftverkehr wird auf der Grundlage von erzielten Fortschritten auf internationaler Ebene klimafreundlich ausgestaltet sein“. Weder wird konkretisiert, was mit „klimafreundlich“ gemeint ist, noch werden für den hauseigenen Flughafenbetrieb Maßnahmen zur Belastungsreduzierung genannt!

Die erste Fortschreibung des Hamburger Klimaplans erfolgte vier Jahre später (FHH-Drs. 21/19200). Darin werden – nach Auffassung des Senats – angesichts der aktuellen Entwicklungen neue Klimaschutzziele für Hamburg mitsamt sektorenbezogenen Zielen festgesetzt und das erforderliche Maßnahmenportfolio zum Erreichen der anspruchsvollen Ziele definiert; sowohl für den Klimaschutz als auch für die Anpassung an den Klimawandel.

Abb. 1: CO2-Minderungsziele für die Sektoren „Privathaushalte (PHH)“, „Gewerbe / Handel / Dienstleistungen (GHD)“, „Industrie“ und „Verkehr“. Das Gesamtziel beläuft sich auf einen Rückgang der CO2-Emissionen der Freien und Hansestadt Hamburg um 55 % im Vergleich von 1990 zu 2030. Innerhalb der einzelnen Sektoren fallen die Minderungsziele sehr unterschiedlich aus. Der Verkehrssektor weist mit einem CO2-Minderungsbedarf von – 44,6 % die geringste Reduktionsvorgabe auf.

In der Einleitung des Senats-Klimaplans finden sich folgende (verheißungsvolle) Sätze: „Klimaschutz im Sinne einer schnellen und umfassenden Reduktion der von Menschen verursachten klimaschädlichen Emissionen ist global eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart. Es sind daher alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Menschen vor den Konsequenzen gravierender Klimaveränderungen zu schützen. Hamburg nimmt sich mit dem Klimaplan vor, in den kommenden Jahren die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, damit die Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft in einer lebenswerten, wirtschaftlich erfolgreichen und bezahlbaren Stadt leben können, die als große Metropole ihren Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels leistet. Mit dem Klimaplan werden schließlich auch die erforderlichen Anpassungsprozesse vorangetrieben, um die Stadt auf die Auswirkungen des Klimawandels vorzubereiten.“

Das Thema „Luftverkehr“ findet – im Gegensatz zum Klimaplan aus dem Jahr 2015 – breiteren Raum. Leider ohne eine hinreichend kritische Betrachtung der Tatsache, dass der Luftverkehr der mit Abstand umweltschädlichste Massenverkehrsträger ist:

Innerhalb der vergangenen Jahrzehnte sind die weltweiten Flugbewegungen kontinuierlich gestiegen, bis 2037 wird zudem von der IATA und der ICAO eine Verdopplung des weltweiten Passagieraufkommens auf rund acht Milliarden prognostiziert. Die Entwicklung in Europa und Hamburg verläuft weniger dynamisch als weltweit. Um die Entwicklung des Luftverkehrs mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in Einklang bringen zu können, sind weiterführende Innovationen notwendig, die den notwendigen Beitrag zur langfristigen Reduktion von CO2-Emissionen im Luftverkehr gewährleisten. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt werden zunehmend energieeffizientere Flugzeugtypen eingesetzt. Um hier einerseits die verbleibenden Potenziale auszuschöpfen und andererseits – etwa durch synthetisches Kerosin – die CO2-Belastung weiter zu senken, ist der Forschungsbedarf aber weiterhin groß.“

„Es wird damit gerechnet, dass bis zum Jahr 2040 (im Vergleich zu 2017) eine weitere Steigerung des Flugaufkommens über Hamburg Airport erfolgt. Gleichzeitig wird für den Standort Hamburg bis zum Jahr 2037 mit einem durchschnittlichen Passagierwachstum von ca. 2 Prozent gerechnet. Analog zur Schifffahrt bestimmen den rechtlichen Rahmen für den Luftverkehr einschließlich der Emissionen weitgehend europäische und internationale Regelungen. Um einem dadurch steigenden CO2-Ausstoß auf europäischer Ebene entgegenzuwirken, ist der Luftverkehr seit dem Jahr 2012 in den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) einbezogen. Beim EU-ETS wird die Emissionsreduzierung in einem Gesamtsystem erreicht. Der europäische Zertifikatehandel führt so dazu, dass der europäische und damit auch der Hamburger Luftverkehr seit 2012 CO2-neutral wächst.

„Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat mit CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) ein Verfahren beschlossen, bei dem das Wachstum im internationalen Luftverkehr ab 2020 klimaneutral erfolgen soll. Daher müssen ab 2020 auf internationalen Flügen, die zwei Teilnehmerstaaten verbinden, die zuständigen Fluggesellschaften die wachstumsbedingten Emissionen der betroffenen Routen kompensieren. Daneben gibt es das nicht verbindliche Ziel der Luftfahrtbranche, u.a. durch die Verwendung von synthetischem Kerosin einen emissionsfreien Luftverkehr bis 2050 zu erreichen.“

„Hamburg Airport hat sich auf einen klimaneutralen Airportbetrieb im Jahr 2021 verpflichtet. Die Flughafen Hamburg GmbH (FHG) unterstützt die Bemühungen der Airlines nach Klimaneutralität, insbesondere im Bereich der Verfügbarmachung von synthetischem Kerosin und mit Anreizen zum Einsatz emissionsarmer Flugzeugtypen. Durch den vermehrten Einsatz von Flugzeugen der Typen Airbus A 320 neo bzw. Boeing 737 new generation werden die Emissionen erheblich reduziert. Im Vergleich zu herkömmlichen Triebwerken verbrauchen diese Flugzeuge ca. 15 Prozent weniger Kerosin. Die FHG verfolgt konsequent das Ziel, dass in Hamburg Flugzeuge so bald wie möglich weitgehend mit nachhaltigem Treibstoff in Form von synthetischem Kerosin betankt werden. Gemeinsam mit ihren Partnern wird die FHG darauf hinarbeiten, dass so bald wie möglich ein hoher Anteil an synthetischem Kerosin zur Verfügung gestellt werden kann. Ein 2019 begonnenes Projekt sieht langfristig den Einsatz von klimaneutral hergestelltem Flugzeugtreibstoff vor.“

Die Prognose der luftverkehrsbezogenen CO2-Reduktionen des vorgelegten FHH-Klimaplans betragen zusammengerechnet 6.235 Tonnen CO2 pro Jahr. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Maßnahmen:

  • Beschaffung von Gepäckschleppfahrzeugen mit alternativen Antrieben auf Erdgas- oder Elektrobasis und 6 Erdgas-Pkw => CO2-Reduktion: 175 t/a
  • Fortsetzung des „Mobilitätskonzepts 2020“: Alternative Antriebe für Fahrzeuge => CO2-Reduktion: 1.000 t/a
  • Verwendung von synthetischem Kraftstoff (z.B. GtL) anstelle von fossilem Diesel im Boden-Fuhrpark des Airports => CO2-Reduktion: 2.290 t/a
  • Umstellung der Bodenstromaggregate von Heizöl auf synthetischen Kraftstoff (z.B. GtL) für die externe Stromversorgung von Flugzeugen auf Außenpositionen und an der Pier, sodass die flugzeugeigenen Hilfstriebwerke (APU) ausgeschaltet werden können. Die Energieversorgung findet über die Fluggastpier und mobilen Aggregaten statt. => CO2-Reduktion: 1.270 t/a
  • Verkehrsoptimierungssystem für das Vorfeld (Follow the Green) => CO2-Reduktion: 1.500 t/a

Leider stehen diesen (bodenbezogenen) Maßnahmen luftseitige CO2-Emissionen von jährlich ca. 928.000 Tonnen CO2 (Tendenz steigend) gegenüber! Dies bedeutet, dass die angestrebten „Reduktionsvorhaben“ lediglich 0,7 % der nach dem Halbstreckenprinzip Hamburg anzulastenden luftverkehrsbezogenen CO2-Emissionen ausmachen. Wahrlich ein „Quantensprung des Klimaschutzes“!

Abb. 2: Der Senat gibt die Hamburger CO2-Emissionen für das Jahr 2017 mit 16.398.000 Tonnen an. Ein Flugzeug ist jedoch kein Bus. Dies bedeutet, dass, um die Hamburger Klimalast zu berechnen – schließlich geht es um den Hamburger Klimaplan, nicht um den Hamburger CO2-Plan –, die (anhand der vor Ort vertankten Kerosinmenge berechneten) luftverkehrsbezogenen CO2-Emissionen mit dem Radiative Forcing Index (RFI) von 2,7 anteilig zu multiplizieren sind. Demnach betrug die Hamburger Klimalast 2017 insgesamt 17.725.000 Tonnen CO2-Äquivalent. Positiv zu vermerken ist, dass anhand der frei verfügbaren Daten des Statistikamtes Nord sich für die Zeitspanne von 2003 bis 2017 eine rückläufige Hamburger Klimalast von 17,4 % attestieren lässt.

Abb. 3: Der direkte Vergleich der einzelnen Sektoren der Hamburger Klimabilanz der Jahre 2003 und 2017 zeigt, dass die städtische Klimalast in dieser Zeit um 3.750.000 Tonnen CO2-Äquivalent abgenommen hat. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass sich die einzelnen Anteile stark verschoben haben. Während der Anteil des Industriesektors an der gesamten Hamburger Klimalast von 32,7 % auf 25,9 % abgenommen hat, ist der Anteil des Verkehrssektors von 27,3 % auf 33,7 % angestiegen. Hauptursächlich zeichnet hierfür der Zuwachs des Luftverkehrs verantwortlich. Im Jahr 2003 machte der Luftverkehr „nur“ 8,4 % der Hamburger Klimalast aus; 2017 sind es bereits 12,7 %!

Abb. 4: Die verkehrsbedingte Klimalast Hamburgs wird dominiert vom Straßenverkehr, gefolgt vom Luftverkehr. Zusammen ergeben diese beiden Teilsektoren ca. 92 % der verkehrsbedingten Klimalast. Dagegen sind die Teilsektoren „Bahnverkehr“ und „Schifffahrt“ nachrangig. Auffällig ist, dass seit 2009 (5.257.000 Tonnen CO2-Äquivalent) die verkehrsbedingte Klimalast Hamburgs bis 2017 auf 5.968.000 Tonnen CO2-Äquivalent angestiegen ist; dies entspricht einem Zuwachs von 13,5 % in acht Jahren.

Abb. 5: Der direkte Vergleich der verkehrsbezogenen Teilsektoren der Hamburger Klimabilanz der Jahre 2003 und 2017 zeigt, dass der Bahnverkehr offensichtlich seine Hausaufgaben gemacht hat – ganz im Gegenteil zum Luftverkehr. Dessen Anteil an der verkehrsbezogenen Klimalast ist von 30,8 % im Jahr 2003 auf 37,8 % im Jahr 2017 angestiegen! Insgesamt hat die verkehrsbezogene Hamburger Klimalast seit 2003 (5,86 Mio. t CO2-Äquivalent) innerhalb von 14 Jahren um 112.000 Tonnen auf 5,97 Mio. t CO2-Äquivalent im Jahr 2017 zugenommen. Effektiver Klimaschutz geht anders!

Abb. 6: Laut Klima(schutz)plan besteht eine verkehrssektorbezogene CO2-Reduktionsvorgabe von 44,6 %. Ausgehend von einer CO2-Last des Hamburger Luftverkehrs von 666.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid im Jahr 1990, liegt der Zielwert im Jahr 2030 bei 369.000 t CO2/a. Im Jahr 2017 wurden aber durch den Betrieb des „Helmut Schmidt-Airports“ nach dem Halbstreckenprinzip 928.000 t CO2/a emittiert. Dieser Wert liegt 39 % über dem Referenzwert des Jahres 1990 und 151 % über dem Zielwert des Jahres 2030. How dare you!

Fazit:

Der Hamburger Klima(schutz)plan droht zu scheitern. Bis zum Jahr 2030 soll die Hamburger Klimalast gegenüber dem Referenzjahr (1990) um 55 % abnehmen. Der Verkehrssektor (und hier insbesondere der Luftverkehr) vermasselt die ansonsten gute Bilanz. Anstatt seit 1990 rückläufig zu sein, steigen die luftverkehrsbezogenen CO2-Emissionen deutlich an. Es ist jedoch in keiner Weise hinnehmbar, dass ausgerechnet der umweltschädlichste Verkehrsträger scheinbar einen „Freiflugschein“ besitzt. Die vorgesehenen bodenbezogenen CO2-Reduktionsmaßnahmen sind lächerlich im Verhältnis zur luftseitigen Klimalast. Allein auf Scheinlösungen zu setzen (EU-ETS, CORSIA, PtL-Kerosin) heißt das Problem zu negieren. Wenn knapp drei von vier Flugreisenden des Hamburger Verkehrsflughafens reine Freizeitflieger (Stichwort: Spaßgesellschaft) sind, läuft in Sachen Klimaschutz einiges schief!

Um seinen (angemessenen) Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, darf der Luftverkehr von und zum Hamburger Verkehrsflughafen nicht noch weiter ansteigen, im Gegenteil. Um dieses Ziel zu erreichen, sind folgende Punkte umzusetzen: (1) Streichung sämtlicher (politisch beschlossener) Wachstums- und Rabattprogramme des Flughafenbetriebes, (2) Änderung der Entwicklungsziele des Flughafenbetriebes über die Ausübung der Mehrheitseigentümervertretung (HGV) dahingehend, dass es kein quantitatives Wachstum, sondern eine nachhaltige Entwicklung des Flughafenbetriebes gibt, (3) Stoppen sämtlicher Ausbauvorhaben der Flughafeninfra- und -suprastruktur auf dem Flughafengelände, (4) Streichung des „Freiflugscheins“ des Luftverkehrs sowohl im Klimaschutzplan als auch im Luftreinhalteplan; anstelle dessen: Festlegung konkreter luft- und landseitiger CO2-Minderungsziele für den Flughafenbetrieb, (5) Erstellung einer umfassenden und transparenten CO2-Bilanz für den Flughafenbetrieb (land- und luftseitig), verbunden mit der Erstellung eines Minderungsplans mit konkreten Maßnahmen (inkl. Meilensteinen), (6) Ausweisung der Klimalast jeden Fluges (als CO2-Äquivalent) sowie des damit verbundenen Umweltschadens (180,- Euro je Tonne CO2) auf dem Flugticket, (7) Umfassende Aufklärung über die Umwelt- und Klimaschädlichkeit des Fliegens in öffentlichen Medien sowie in der Schule, (8) Ächtung von Werbung für Flüge an und in öffentlichen Gebäuden sowie Fahrzeugen.

Kurz gesagt: Am besten am Boden bleiben, dann klappt es auch mit dem Klimaschutz(plan) in Hamburg!