Es war einmal …

Märchen erzählen ist als Immaterielles Kulturerbe in Deutschland offiziell anerkannt. Charakteristisch für Märchen ist unter anderem das Erscheinen phantastischer Elemente in Form von sprechenden und wie Menschen handelnden Tieren, von Zaubereien, Riesen und Zwergen, Geistern und Fabeltieren. Gleichzeitig tragen viele Märchen sozialrealistische oder sozialutopische Züge und sagen viel über die gesellschaftlichen Bedingungen, z.B. über Herrschaft und Knechtschaft, Armut und Hunger oder auch Familienstrukturen zur Zeit ihrer Entstehung, Umformung oder schriftlichen Fixierung aus (Wikipedia).

Die Antworten des Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen Hamburg GmbH (FHG), Michael Eggenschwiler, im Interview mit dem Hamburger Abendblatt (HA) vom 04.07.18 weisen wesentliche Elemente eines Märchens auf …

Abb. 1: Jacob und Wilhelm Grimm, vereint auf dem 1.000 DM-Geldschein – hier als Zerrbild der zahlreichen Märchen der Wirtschaftslobby zu sehen, die der Bevölkerung tagtäglich aufgetischt werden. Banknote der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main, Deutschland (gemeinfrei)

Auf die berechtigten Fragen von Rotkäppchen an die scheinbare Großmutter nach den großen Ohren, den großen Augen, den großen Händen und dem großen Maul, erhielt Rotkäppchen klare, zielgerichtete und wahrheitsgemäße Antworten. Auf die Fragen von Volker Mester (HA) zur Belastungsentwicklung am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen, erhält dieser leider allenfalls zielgerichtete, jedoch keinesfalls wahrheitsgemäße bzw. umfassende Antworten. Leider versäumt es Herr Mester entsprechend journalistisch nachzufassen. Er glaubt einfach den wohlfeil klingenden Antworten von Herrn Eggenschwiler, womit wir beim Kern des Märchenerzählens (und Zuhörens) sind:

Mester: „Sie weisen immer wieder auf die Tendenz steigender Passagierzahlen ohne zusätzliche Starts und Landungen hin. Doch gemessen an der sogenannten Lärmkontur war 2017 offenbar das lauteste Jahr seit der Jahrtausendwende. Bedeuten also größere Flugzeuge nicht doch mehr Lärm?“

Eggenschwiler: „Nach objektiven Messdaten ist der Geräuschpegel in den zurückliegenden zehn bis 15 Jahren recht stabil geblieben – und ich glaube, das wird auch in Zukunft so sein. Wir sehen, dass immer mehr Flugzeuge der neuesten Generation eingesetzt werden, die spürbar leiser sind als die bisherigen Jets. Schon jetzt kommen neben der Lufthansa auch Iberia, SAS, EasyJet und Pegasus Airlines mit Maschinen vom Typ A320neo regelmäßig nach Hamburg, auch die ersten Boeing 737 Max waren schon hier.“

Hierzu korrigiert und ergänzt NoFlyHAM: Die Daten zur Entwicklung des Flugverkehrsaufkommens (Anzahl an Starts und Landungen) und zur Ausbreitung des Fluglärmteppichs (räumliche Ausdehnung der 62 dB(A)-Fluglärm-Dauerschallisophone) stammen von der FHG selbst. Es ist daher nicht „das subjektive Lärmempfinden“, welches auf die Fluglärmzunahme hinweist, sondern es sind die hauseigenen Messergebnisse. Diese kennen seit Jahren nur einen Trend: Das Flugverkehrsgeschehen in und um Hamburg wird immer belastender. Und die viel beschworenen, etwas weniger lauten Flugzeuge der AirbusNeo-, BoeingMax- und Bombardier CS-Baureihe sind äußerst seltene Gäste am „Helmut Schmidt-Airport“. Ihr Anteil liegt weiterhin unter 1 % am Gesamtflugverkehrsaufkommen – eine Schwalbe am Himmel macht bekanntlich noch keinen Sommer.

Weitergehende Informationen zur Fluglärm-Belastungsentwicklung gibt es im NoFlyHAM-Blogbeitrag „Alarm“.

Abb. 2: In den vergangenen 15 Jahren ist die Ausbreitung des Fluglärmteppichs – d.h. der räumlichen Ausdehnung der 62 dB(A) Fluglärm-Dauerschallisophone – von ursprünglich 11,2 km² im Jahr 2003 auf 14,7 km² im Jahr 2017 angestiegen. Dies entspricht einer prozentualen Zunahme von 31 %. Von 2013 bis 2017 ist ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen. Besonders auffällig ist, dass im Jahr 2007 – dem mit insgesamt 173.500 Starts und Landungen (bisher) flugverkehrsreichsten Jahr am „Helmut Schmidt-Airport“ – der Fluglärmteppich 13,9 km² betrug. Im Jahr 2017 fanden zwar knapp 14.000 Flugbewegungen weniger als 2007 statt, der Fluglärmteppich weist mit 14,7 km² jedoch eine deutlich größere Ausdehnung auf. Kurz gesagt: Weniger Flüge haben mehr Lärm erzeugt

Mester: „Im Jahr 2017 ist die Zahl der verspäteten Flüge nach 23 Uhr sprunghaft angestiegen, in den ersten fünf Monaten 2018 hat sich dies sogar noch deutlich verschärft. Ist die sogenannte Pünktlichkeitsoffensive des Flughafens also gescheitert?“

Eggenschwiler: „Nein, so sehe ich das nicht. Uns ist es damit gelungen, die Fluggesellschaften zu sensibilisieren und eine Gesprächsgrundlage zu schaffen, die wir so früher nicht hatten. Sobald sich bei bestimmten Flügen Verspätungen nach 23 Uhr häufen, gehen wir der Sache gemeinsam auf den Grund. In mehreren Fällen ist der Flugplan deshalb geändert worden.“

Hierzu korrigiert und ergänzt NoFlyHAM: Im vergangenen Jahr wurden 71 % der Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit (d.h. nach 23 Uhr) am „Helmut Schmidt-Airport“ von den Unterzeichnern der sogenannten „Pünktlichkeitsoffensive“ produziert. Es zeigt sich mehr als deutlich, dass ein „netter Dialog“ mit den Fluggesellschaften nicht zur erforderlichen Disziplinierung führt, da deren Gewinnmaximierung für sie das oberste Gebot darstellt.

Solange der Begriff der (angeblichen) Unvermeidbarkeit einer nächtlichen Flugverspätung derart schwammig gefasst ist wie im geltenden Luftfahrthandbuch (AIP) des „Helmut Schmidt-Airports“, werden dem Missbrauch der Verspätungsregel Tür und Tor weit geöffnet. Auch die im vergangenen Jahr erhöhten Start- und Landeentgelte ab 22 Uhr erweisen sich als weitgehend wirkungslos. Nicht vergessen werden darf hierbei, dass der Flughafenbetreiber selbst von den erhöhten Entgelten monetär profitiert. Auch das neueste Steuerungsinstrument (500,- Euro Bearbeitungsgebühr für Starts und Landungen nach 23 Uhr, die von der Fluglärmschutzbehörde erhoben werden) wird keine hinreichende Hebelwirkung erzielen.

Weitergehende Informationen zu den Missachtungen der Nachtflugbeschränkungen am „Helmut Schmidt-Airport“ gibt es im NoFlyHAM-Blogbeitrag „Amtshilfe“.

Abb. 3: Die Relevanzschwelle der nächtlich verspäteten Starts und Landungen von Linien- und Touristikflügen zwischen 23 Uhr und 6 Uhr am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen liegt bei 120 Flugbewegungen pro Jahr. Die Toleranzgrenze derartiger Flugbewegungen beträgt 330 Stück pro Jahr. Der Hamburger Senat hat sich in diesem Zusammenhang eine Kennzahl von maximal 550 nächtlich verspäteten Starts und Landungen von Linien- und Touristikflügen zwischen 23 Uhr und 6 Uhr pro Jahr gesetzt. Alle Belastungsmarken werden immer früher im Jahr durchbrochen – trotz einvernehmlich beschlossenem 10-Punkte-Plan (2014) und 16-Punkte-Plan (2015) der Hamburgischen Bürgerschaft sowie der „Pünktlichkeitsoffensive“ (2016) und Entgeltnovellierung (2017) der Flughafenbetreibergesellschaft

Mester: „Aber warum gibt es dennoch mehr Verspätungen und nicht weniger?“

Eggenschwiler: „In den Jahren 2006 und 2007 war die Zahl höher als zuletzt – sie lag schon damals bei über 1.000 Flügen zwischen 23 und 24 Uhr. Aber im vergangenen Mai hat es an mehreren Tagen extreme Wetterlagen mit schweren Gewittern zum Beispiel in Frankfurt und München gegeben. Das wirkt sich auch auf Flüge nach Hamburg aus. Darüber hinaus gibt es seit Monaten mehr Verspätungen, weil das europäische Luftstraßensystem zeitweise an Grenzen stößt – so wie es ja auch auf Autobahnen zu Staus kommt. Das ist ein gesamteuropäisches Problem. Was wir hier am Standort Hamburg tun können, haben wir getan. Ich würde mich freuen, wenn sich auch die Hamburger Politik auf europäischer Ebene für Verbesserungen einsetzt.“

Hierzu korrigiert und ergänzt NoFlyHAM: Der Luftraum über Europa ist überlastet. Der Betrieb des „Helmut Schmidt-Airports“ trägt hierzu eindeutig bei; ist daher Teil des Problems. Haupttreiber des übermäßigen Luftverkehrszuwachses sind die skandalös niedrigen Flugpreise. Unter Ausblendung jeglicher Nachhaltigkeitsaspekte frohlockt in diesem Zusammenhang das HA am 10.11.15: „Vom Hamburg Airport zu fliegen ist am billigsten“. Es bedarf daher zwingend einer Einpreisung der externen Umweltkosten, die ein Flug verursacht: Das Kerosin gehört besteuert, die Flugsicherungskosten allein den Verursachern zugeordnet und auf Auslandsflüge die Mehrwertsteuer erhoben. Jeder Passagier hat sich anteilig an den durch sein Handeln entstehenden Umweltschäden zu beteiligen. Hierzu zählt eine verbindliche CO2-Abgabe ebenso wie eine Lärmschutzabgabe (1,- Euro je Start und Landung). Hierfür müssen sich die Hamburger Politiker*innen auf Landes- und Bundesebene sowie auf der europäischen Bühne einsetzen.

Welche konkreten Maßnahmen am „Helmut Schmid-Airport“ möglich, sinnhaft und verhältnismäßig sind, ist nachzulesen im NoFlyHAM-Blogbeitrag „Wege zur Belastungsreduzierung“.

Abb. 4: Billigflieger (sog. Low Cost Carrier und Low Fare Carrier) missachten weit überdurchschnittlich häufig die Schutzbestimmungen für die Bevölkerung, beispielsweise Nachtflugbeschränkungen und -verbote oder weniger belärmende An- und Abflugverfahren. Regelverstöße werden von ihnen nicht nur billigend in Kauf genommen. Aus der bewussten Fahrlässigkeit wird aufgrund der mangelhaften bis ungenügenden Umlaufplanung bedingter Vorsatz. Am „Helmut Schmidt-Airport“ beträgt der Billigfliegeranteil am Gesamtaufkommen der Linien- und Touristikflüge mittlerweile 53,0 %. Im Jahr 2006 waren es dagegen nur 16,3 %. Ein Großteil des hiesigen Verspätungsdebakels ist daher hausgemacht.

Mester: „Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Betriebszeiten des Hamburger Flughafens eingeschränkt werden?“

Eggenschwiler: Wir haben eine gültige Betriebsgenehmigung, und ich sehe keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Die Verspätungsregel mit der Puffer-Zeit zwischen 23 und 24 Uhr ist für uns wichtig. Genauso wichtig ist es allerdings, dass sie nicht missbraucht wird.“

Hierzu korrigiert und ergänzt NoFlyHAM: Die geltende Betriebsgenehmigung der kommerziellen, im Mehrheitsbesitz der Stadt Hamburg befindlichen Flughafenbetreibergesellschaft stammt aus dem Jahr 1967 – es ist an der Zeit, dass diese der heutigen Rechtsprechung und den heutigen Umweltstandards angepasst wird. Der damaligen Genehmigung ist unter Pkt. 8 zu entnehmen, dass weitere Auflagen und Ergänzungen im Interesse der Sicherheit und Ordnung vorbehalten bleiben. Unter Ordnung (d.h. geordnet; einer vorgegebenen Regel folgend) ist im besonderen Maße die Einhaltung von Schutzbestimmungen für die Bevölkerung zu verstehen. Von Erleichterungen zur Kapazitätssteigerung („Flüssigkeit des Flugverkehrs“) findet sich dagegen nichts in dem Dokument.

Eine Einführung und Umsetzung eines echten Nachtflugverbotes – so wie vom BUND-Hamburg gefordert – würde lediglich ca. 6 % der Betriebszeit und nur ca. 3 % der Flugbewegungen betreffen. Gespensterdebatten über mögliche Arbeitsplatzverluste sind daher allenfalls in sehr begrenztem Ausmaß zu führen. Vielmehr ist der Gewinn an Lebensqualität für ca. 250.000 vom Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in Hamburg und Schleswig-Holstein in den Vordergrund zu stellen. Ob die derzeitige Verspätungsregel für die Flughafen Hamburg GmbH „wichtig sei“, ist nachrangig bis unerheblich.

Die Fragen, wer Verursacher des Verspätungsdebakels ist und wem die Verantwortung obliegt, dass das vorherrschende Belastungsübermaß eingedämmt wird, beantwortet der NoFlyHAM-Blogbeitrag „Kein Recht im Unrecht“.

Abb. 5: Acht von zehn Hamburgerinnen und Hamburger nutzen den „Helmut Schmidt-Airport“ ohne selbst durch dessen Betrieb in ihrem täglichen Leben beeinträchtigt zu werden. Für die vom Fluglärm und Flugdreck betroffenen Bürgerinnen und Bürger ist es hingegen schwer, angemessen auszudrücken, was der permanente Raub der Stille bedeutet; insbesondere gegenüber denjenigen, die häufig gerne billig hin und her fliegen. Empathie und Mitgefühl werden in der heutigen Zeit immer mehr zu Randerscheinungen. Es herrscht das Diktat der Spaßgesellschaft

Fazit:

Klassischerweise stellt sich zum Ende eines Märchens die Moralfrage. Nicht so beim Thema „Luftverkehr“. Hier geht es einzig um die penetrante Befeuerung des preisgetriebenen Mobilitätsinteresses. Die Beachtung der Einhaltung von Schutzbestimmungen für die Bevölkerung ist dabei nur lästiges Beiwerk – eine bewusst ausgeklammerte Nebenrolle im Märchen vom nachhaltigen Fliegen; sehr zum Leid von Mensch und Umwelt. Ein wesentlicher Grund, weshalb der dringende Appell an die Verantwortungsträger in Verwaltung und Politik, echte Schritte zur Belastungsreduzierung zu unternehmen, bisher (weitgehend) ungehört geblieben ist?