Richtigstellung

Am 10. Oktober 2017 veröffentlichte der Arbeitskreis „Luftverkehr“ des BUND-Landesverbandes Hamburg seine Auswertungen über die Belastungsentwicklung, verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“. Kernpunkte stellen die quantitativen und qualitativen Ergebnisse zur Missachtung des offiziellen Betriebsendes von 23 Uhr dar: Von insgesamt 273 Nächten im Zeitraum Januar bis September 2017 fanden lediglich in 48 Nächten keine Flugbewegungen – verursacht durch Linien- und Touristikflieger – statt. Dies entspricht einer Einhaltungsquote der Nachtflugbeschränkungen von nur 17,6 %. Anders ausgedrückt: In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden in acht von zehn Nächten die Nachtflugbeschränkungen umgangen. Alarmierend ist, dass es in den vergangenen drei Monaten nur in zwei Nächten (4. Juli und 4. September) keine Starts und Landungen nach 23 Uhr gegeben hat! Das Regel- / Ausnahmeverhältnis steht (weiterhin) Kopf.

Hinsichtlich der nächtlich verspäteten Landungen ist festzustellen, dass – ausgehend von einem Belastungsniveau der Jahre 2011 bis 2013, welches damals bereits als unerträglich anerkannt wurde (siehe Debatte zum 10-Punkte-Plan) – die Verstöße Jahr für Jahr wesentlich weiter zugenommen haben. In den Jahren 2011 bis 2013 schwankte die Jahreszahl verspäteter Linien- und Touristikflieger zwischen 386 und 488. 2014 waren es dann 522, 2015: 601, 2016: 652 und im Jahr 2017 sind es bis einschließlich September bereits 615. Um keinem Shifting-Baseline-Effekt aufzuliegen, bei dem eine stetig höhere Regelmissachtung für eine schleichende Akzeptanz eines Missstandes sorgt, muss es eine feststehende Herleitung einer Zielgröße der nächtlich verspäteten Landungen geben. Demnach sind maximal akzeptabel: 10 – 15 % der Nächte mit 3 – 5 Flügen = 110 – 275 Landungen nach 23 Uhr.

Bei den nächtlich verspäteten Starts außerhalb der offiziellen Betriebszeit ist die Negativentwicklung noch drastischer. Ausgehend von einem maximal akzeptablen Niveau von 3 – 5 % der Nächte mit 1 – 3 Flügen = 10 – 55 Starts, welches in den Bezugsjahren 2011 bis 2013 annährend eingehalten wurde, muss insbesondere in den vergangenen knapp zwei Jahren mit Entsetzen festgestellt werden, dass die Anzahl der Starts nach 23 Uhr nahezu explodiert ist. Zum Jahresende 2016 hatte sich die Anzahl mit 154 Starts gegenüber dem Vergleichszeitraum (2011 – 2013) fast verdreifacht. Im laufenden Jahr fand dann eine dramatische, zuvor nicht denkbare weitere Verschlechterung der Anzahl an nächtlich verspäteten Starts statt; doch die Hamburger Fluglärmschutzbeauftragte wiegelt ab, siehe unten.

Abb.: Start der Volkspetition „Nachts ist Ruhe – Fair für alle, gut für Hamburg“ des BUND-Hamburg am 1. März 2017 im Terminal 1 des „Helmut Schmidt-Airports“ in Hamburg-Fuhlsbüttel

Das Hamburger Abendblatt in der Printversion vom 11.10.17 schreibt zur Entwicklung der Regelverstöße: „Immer wieder beschweren sich Anwohner in Flughafennähe über den Lärm. Der BUND hat die subjektiven Empfindungen der Menschen jetzt mit Zahlen unterfüttert. Die Naturschützer haben die verspäteten nächtlichen Starts und Landungen in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres ausgezählt. Nach ihrer Einschätzung würden die geltenden Betriebszeiten weiterhin massiv verletzt, die Verstöße seien sogar im Vergleich zum Vorjahr noch angestiegen“.

Hoppla: Es sind nicht nur die Anwohner in Flughafennähe, die sich über den überbordenden Fluglärm und Flugdreck zu Recht beschweren. Insbesondere die Bewohnerinnen und Bewohner außerhalb der offiziellen Fluglärmschutzzonen (durch die der Fluglärm legalisiert wird und die Menschen aus ihren Gärten in ihre Häuser verbannt werden) sind es, die nicht mehr bereit sind für die zumeist sinnarme Vielfliegerei weiterhin ihre Lebensqualität zu opfern!

Pünktlich zur Mitte des Monats veröffentlichte dann die Betreibergesellschaft „Flughafen Hamburg GmbH“ – FHG) ihre Sicht der Dinge zur Verspätungslage: „Am Hamburg Airport gilt eine Verspätungsregelung zwischen 23 und 24 Uhr: In dieser Zeit ist es regelmäßigen Linien- und Touristikflügen erlaubt zu starten oder zu landen, wenn für die Verspätung unvermeidbare Gründe vorliegen. Dazu zählen (aus Sicht der FHG) unter anderem technische oder wetterbedingte Probleme, aber auch starke Verzögerungen im Tagesumlauf (Tagesrotation) eines Flugzeugs, die nicht mehr aufgeholt werden können“.

Achtung: Permanente „Verzögerungen im Tagesumlauf“ basieren auf schlechtem Management; sie sind daher alles andere als unvermeidbar! Beispiele hierfür sind die easyJet-Verbindungen „EZY 8346“ nach London-Gatwick mit bisher (d.h. Januar bis September) 52 verspäteten Starts nach 23 Uhr, „EZY 6932“ nach Edinburgh mit 33 und „EZY 2324“ nach London-Luton mit 29 verspäteten Nachtstarts. Bei den Landungen ist es Eurowings mit der Verbindung „EW 7827“ aus Mailand, die sich bisher 41 Mal derart verspätet hat, dass die 23-Uhr-Grenze (Betriebsende) nicht eingehalten wurde. Alles Billigflieger, bei denen die Einhaltung regionaler Lärmschutzvorgaben nur ein müdes Lächeln erzeugt. Wenn laut FHG im laufenden Jahr 58 % aller Flüge nach 23 Uhr die Verspätungsregel in Anspruch genommen haben, weil sie „Verzögerungen in der Tagesrotation“ nicht mehr ausgleichen konnten, wird deutlich, dass in den minimal disponierten Standzeiten (häufig angegeben mit 20 – 30 Minuten) das Hauptproblem liegt!

Das Hamburger Abendblatt vom 17.10.17 entnimmt dem FHG-Monatsbericht vor allem, dass voraussichtlich ein neuer Passagierrekord ins Haus steht. Die hiermit verbundenen Belastungszuwächse für die Menschen in den An- und Abflugschneisen (vgl. NoFlyHAM-Blogbeitrag „Unverhältnismäßig“) werden weitgehend ignoriert. Lieber wird dem Betreibermärchen von der angeblichen Entkoppelung von Passagierzuwachs und Fluglärm gehuldigt. Fakt ist jedoch, dass in den Jahren 2013 bis 2016 die Anzahl an Passagieren um 20,2 % zugenommen hat, die Anzahl der Passagiere pro Flugbewegung dagegen „nur“ um 6,7 %. Aus diesem Ungleichgewicht kann direkt geschlossen werden, dass auch die Anzahl an gewerblichen Flugbewegungen zugenommen haben muss: Es sind 12,2 %. Die Zunahme der Flugbewegungen ist auch über die Vergrößerung des Dauerschall-Fluglärmteppichs (+ 12,9 %) sowie der Zunahme der einzelschallbasierten Fluglärmsumme (+ 22,9 %) abzulesen. Die zutreffende Gleichung lautet daher: Mehr Passagiere erzeugen mehr Fluglärm und mehr Flugdreck!

Abb.: Übergabe der BUND-Volkspetition mit ca. 14.500 Unterschriften für die Einführung eines echten Nachtflugverbotes am „Helmut Schmidt-Airport“ am 19. September 2017 auf dem Hamburger Rathausplatz

Der taz vom 18.10.17 ist zu entnehmen, dass die Hamburger Fluglärmschutzbeauftragte, Gudrun Pieroh-Joußen, der sogenannten „Pünktlichkeitsoffensive“ attestiert, bisher keinen Erfolg zu haben. Demnach seien seit Januar 831 Flugzeuge mit nächtlichen Verspätungen gelandet und in einigen Fällen auch gestartet. In einigen Fällen?!! – Allein im Juli 2017 fanden mit 57 Nachtstarts mehr Missachtungen der Nachtflugbeschränkungen in einem Monat statt als im Vergleichszeitraum 2011 – 2013 während eines gesamten Jahres! Von Januar bis September 2017 waren es 233 Starts nach 23 Uhr. Hiervon entfallen allein 133 Starts auf den Billigflieger easyJet. Überdeutlich zeigt sich, dass auch die novellierte Entgeltordnung unzureichend ist, um „Schwarze Schafe“ der Luftverkehrsbranche abzuhalten, Gewinnmaximierung zu Lasten Dritter zu betreiben.

Die Verantwortlichen im Rathaus und am Flughafen müssen endlich aufwachen – die vielen Betroffenen sind es leider längst“, kommentiert Hamburgs BUND-Chef Manfred Braasch die Belastungssituation zutreffend. „Es gibt ein Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, aber kein Recht auf Fliegen zu jeder Tages- und Nachtzeit“, ist sich Braasch sicher. Auch für die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Andreas Dressel und Anjes Tjarks, ist die Situation „nicht akzeptabel“. Dressel stellt klar, dass die Lage am Flughafen „nicht länger hinnehmbar“ sei. Noch in diesem Jahr würden in der politischen Diskussion über die Volkspetition „der Handlungsbedarf und mögliche Maßnahmen konkretisiert“. An eine Reduzierung der Betriebszeiten auf 22 Uhr glaubt Dressel (bisher) jedoch nicht: „Wir müssen zuerst dafür sorgen, dass die geltenden Regeln eingehalten werden.“

Ob den Aussagen zielführende Taten folgen werden und ob der Appell der Betroffenen an die Politikerinnen und Politiker der Hamburgischen Bürgerschaft fruchtet, bleibt offen. Der anstehende Lackmustest wird die Berichterstattung des regierenden Senats zum Umsetzungstand des 16-Punkte-Plans sein. In dieser wird sich zeigen, ob (erneut) die Luftverkehrslobby bei der Erstellung die Hand geführt hat, oder ob das Belastungsübermaß endlich ernst genommen wird und wirksame Gegenmaßnahmen (Strichwort: nachhaltige Belastungsreduzierung) getroffen werden …