Entgelt(un)ordnung

Auf die Schriftliche Kleine Anfrage „Umsetzung 16-Punkte-Plan: Neue Entgeltordnung am Hamburg Airport?“ (Drucksache 21/8809) der SPD-Abgeordneten Dr. Andreas Dressel, Monika Schaal und Dorothee Martin sowie der GRÜNEN-Abgeordneten Dr. Anjes Tjarks und Ulrike Sparr vom 21. April 2017 antwortet der regierende Senat – auf der Grundlage von Auskünften der kommerziellen Flughafen-Betreibergesellschaft (FHG), d.h. des Zustandsstörers – dahingehend, dass ein wesentliches Instrument zur Erreichung des Ziels, den Lärmschutz für die von Fluglärm betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner stetig zu verbessern, das Setzen finanzieller Anreize für den „Einsatz besonders lärmarmer Flugzeuge“ und für die „Vermeidung der sensibleren Tagesrandzeiten bei der Flugplanung“ sei. Anlass, sich die neue Entgeltordnung insbesondere auf ihre Zielgerichtetheit genauer anzusehen …

Lärm-Flieger sollen jetzt richtig blechen“ titelt die Mopo am 2. Mai 2017. Stimmt insofern, als dass Flugzeuge der Lärmklasse 6 und 7 ab dem 14. Juni 2017 je Start und Landung 610,- Euro bzw. 1.840,- Euro mehr bezahlen müssen. Dies betrifft jedoch sage und schreibe zusammen nur 0,4 % der Flugbewegungen am Flughafen „Helmut Schmidt“. Zu Recht kritisiert Martin Mosel, Sprecher der Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW), dies daher als Mogelpackung für angeblich mehr Fluglärmschutz.

Abb.: Lärmklassenzuordnung, Anzahl und Anteil an Flugbewegungen sowie „Lärmzuschlag“ (Teil des Start- und Landeentgelts) am innerstädtisch gelegenen Regionalflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel

Das Lärmklassenmittel aller am Flughafen „Helmut Schmidt“ im Jahr 2016 vom DFLD registrierten 153.239 Linien- und Touristikflüge liegt bei 3,22. Um diesen Wert deutlich zu reduzieren, muss das Ausmaß der lärmabhängigen Start- und Landeentgelte nicht nur für die Lärmklassen 6 und 7 spürbar angehoben, sondern bereits ab der Lärmklasse 4 wesentlich erhöht werden. Eine Preisdifferenz von bisher 32,- Euro sowie zukünftig von 64,- Euro zwischen der Lärmklasse 3 und 4 – den mit weitem Abstand häufigsten Lärmklassen – hat nahezu keine Steuerungswirkung. Selbst die nach Herrn Tjarks „schon ziemlich lauten Flugzeuge“ der Lärmklasse 5 werden mit zukünftig 362,- Euro nicht wirklich beaufschlagt. Außerdem machen diese Flugzeuge bereits heute lediglich 3,1 % der Flugbewegungen aus.

Und wie sieht es mit der belastungsreduzierenden Steuerungswirkung der Nachtzuschläge aus?Je später desto teurer“ sagt Andreas Dressel (SPD). Bis zu 700 % Zuschlag werden zukünftig Fluggesellschaften zahlen müssen, wenn sie nach Mitternacht in Hamburg starten oder landen wollen. Klingt zunächst nach einer „echten Daumenschraube“. Jedoch: 700 % von was? Wie steht dies im Verhältnis zu der verbleibenden Gewinnspanne bzw. zu den alternativen Kosten, die anfallen würden, wenn das Flugzeug nicht mehr in Hamburg landen dürfte, sondern nach Hannover ausweichen müsste?

In der Drucksache 21/8809 wird dankenswerterweise ein Anwendungsbeispiel der bestehenden und zukünftigen Entgeltordnung am Flughafen „Helmut Schmidt“ (variable gewichts- und lärm- sowie zeitabhängige Bestandteile) für ein „durchschnittliches Flugzeug“ (Airbus A320) aufgeführt. Das Beispiel ist auch deshalb gut gewählt, da im Jahr 2017 ein derartiger Flugzeugtyp bereits insgesamt 71 Mal zu spät (d.h. nach offiziellem Betriebsende) in Hamburg gestartet und gelandet ist. Dies entspricht 41 % aller bisher im Jahr 2017 nächtlich verspäteten Flugbewegungen zwischen 23 Uhr und 6 Uhr.

Abb.: Entgeltbestandteile typischer Flugzeugmuster am innerstädtisch gelegenen Regionalflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel, die der Berechnung der Nachtzuschläge zugrunde liegen – aktuelle Preisliste

Um beim Beispiel aus der Senatsdrucksache zu bleiben: Eine Fluggesellschaft muss bei einem nächtlich verspäteten Start oder einer nächtlich verspäteten Landung um 23:30 Uhr mit einem vollbesetzten Airbus A320 anstelle von 756,30 Euro zukünftig 1.531,80 Euro an gewichts-, lärm- und zeitabhängigem Entgelt an die Flughafenbetreibergesellschaft entrichten – und damit verbunden deren Gewinn erhöhen. Umgerechnet auf einen einzelnen Passagier steigt dieser variable Entgeltanteil somit ab dem 14. Juni 2017 von bisher 4,20 Euro auf 8,51 Euro. Ob die zusätzlichen 4,31 Euro pro Passagier eine hinreichende Steuerungswirkung dahingehend entfachen können, dass insbesondere die notorischen Zuspätflieger (easyJet, Euro-/Germanwings, Air Berlin, Ryanair, & Co) ihr Geschäftsmodell entsprechend anpassen, ist mehr als fraglich.

Abb.: Entgeltbestandteile typischer Flugzeugmuster am innerstädtisch gelegenen Regionalflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel, die der Berechnung der Nachtzuschläge zugrunde liegen – zukünftige Preisliste

Noch problematischer wird die Betrachtung bei dem Ansatz für Starts und Landungen nach Mitternacht. Hier wird medienwirksam mit dem „700 % Aufschlag“ die neue Entgeltordnung als durchsetzungsstark beworben. Bei einer derart verspäteten nächtlichen Flugbewegung steigt das von den Nutzern eines vollbesetzten A320 zu entrichtende Entgelt von derzeit 4,20 Euro pro Passagier auf zukünftig 13,24 Euro pro Passagier. Bedenkt man jedoch die tatsächlichen Kosten in Höhe von mindestens ca. 75,- Euro bis maximal ca. 660,- Euro, die eine Fluggesellschaft pro Passagier bei einer Ausweichlandung in Hannover zu zahlen hätte (Versorgung, Ersatzbeförderung, ggf. Hotelübernachtung, Entschädigungsleistungen je nach Verspätungsdauer und Flugstrecke – vgl. Fluggastrechte), wird offenbar, dass auch die zukünftige Entgeltordnung keine Fluggesellschaft davon abhalten wird, auf Gedeih und Verderb auch nach Mitternacht noch in Hamburg zu landen – rein aus monetären Erwägungen. Hier hilft nur ein kategorisches Start- und Landeverbot für Linien- und Touristikflieger zwischen 24 Uhr und 6 Uhr.

Fazit:

Dass die bestehende Entgeltordnung unzureichend im Hinblick auf den Einsatz besonders lärmarmer Flugzeuge weniger lauter Flugzeuge sowie für die Vermeidung der sensibleren Tagesrandzeiten gesetzlich besonders geschützten Nachtruhezeiten bei der Flugplanung ist, wird belegt durch die negativen Entwicklungen bei der Fluglärmausbreitung (Lärmteppich) sowie der Anzahl an nächtlichen Flugbewegungen: Vor eineinhalb Jahrzehnten war ein einzelner Überflug im Durchschnitt 11,5 % leiser als heute; seit dem Jahr 2011 hat die Anzahl an kommerziellen Flugbewegungen von Linien- und Touristikfliegern außerhalb der offiziell festgelegten Betriebszeit um 33 % zugenommen (vgl. BUND-Fluglärmreport).

Solange der Senat die Umsetzung des 16-Punkte-Plans „in enger Abstimmung“ mit der Flughafen Hamburg GmbH – d.h. dem indirekten Belastungsverursacher – betreibt, wird es nichts mit der Verbesserung des Lärmschutzes für die von Fluglärm betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner Bürgerinnen und Bürger sowohl im Nahbereich des Flughafengeländes als auch in den An- und Abflugschneisen bis weit in die Stadtrandgebiete und das Umland in Schleswig-Holstein und Niedersachsen hinaus.

Daher die erschütternde Prognose: Auch mit der neuen Entgeltordnung wird sich das Blatt nicht zum Besseren wenden. Im Gegenteil; die Belastungssituation wird sich – entgegen dem zumindest nach außen vorgetragenen Senatswillen – voraussichtlich noch weiter verschlechtern.

Es ist höchste Zeit anzuerkennen, dass die Entwicklungsziele des Flughafenbetreibers (quantitatives Wachstum insbesondere im Billigflugsektor) unvereinbar sind mit jeglichen Nachhaltigkeitsansprüchen.