Reformationsbedarf

Die aktuelle Umsetzung der seit Jahrzehnten bestehenden Schutzbestimmungen für die Bevölkerung vor vermeidbarem – und damit einhergehend unzumutbarem – Fluglärm (z.B. Nachtflugbeschränkungen und Bahnbenutzungsregeln) am „Helmut Schmidt-Airport“ verfehlt ihr Ziel um Längen. Es gibt kaum einen Betriebstag, an dem der letzte Flieger regelkonform spätestens um 23 Uhr gestartet oder gelandet ist. Außerdem wird in der Stunde zuvor (ebenso wie in der ersten Betriebsstunde) die geltende Bahnbenutzungsregelung nahezu in Gänze außer Kraft gesetzt. All dies geschieht wissentlich vor den Augen der Genehmigungs- und Kontrollbehörden (BWVI und BUE), ohne dass hinreichend eingegriffen wird …

Weder freiwillige Selbstverpflichtungen („Pünktlichkeitsoffensive“) noch die novellierte Entgeltordnung haben es vermocht, das bestehende Belastungsübermaß spür- und messbar zu reduzieren. Andererseits wird jeder Passagierzuwachs großspurig gefeiert, als ob es keine direkte oder zumindest indirekte Beziehung von Passagiertransport, Flugbewegungsanzahl, Fluglärm und Grad der Regelmissachtung gäbe.

Wie passt dies zusammen mit dem Appell der Hamburgischen Bürgerschaft an den Senateine sehr strenge Einhaltung der Betriebszeiten sicherzustellen und gegenüber den Fluglinien auf eine weitere Reduzierung der Verspätungen und Ausnahmen hinzuwirken“?

Michael Wolgemut „Tanz der Gerippe“ (1493): Im späten Mittelalter ging die Angst vor dem Tod einher mit der Angst vor dem individuellen Gericht direkt nach dem Tod und vor dem Jüngsten Gericht in der Endzeit. Im Bewusstsein ihrer Sündhaftigkeit dürsteten die Menschen nach Dingen, die sie ihres jenseitigen Heils versicherten. Dazu gehörten fromme Stiftungen, Seelenmessen, Wallfahrten, Prozessionen und der Erwerb von Ablassbriefen, durch die die Zeit im Fegefeuer verkürzt werden sollte. All diese Leistungen konnten gegen Geld von der Kirche erworben werden – eine „Fiskalisierung“ der Religion.

Mit Geld lässt sich bis in die heutige Zeit scheinbar alles regeln: Wird die Nachtflugbeschränkung durch eine Fluggesellschaft umgangen, reicht ein bisschen Ablass (zeitabhängige Start- und Landeentgelte) an den kommerziellen Flughafenbetreiber und schon wird die (angebliche) Unvermeidbarkeit durch die aufsichtführende Behörde – in Vertretung der Haupteigentümerin und damit verbunden der monetären Empfängerin des Ablasses – attestiert. Mittelalter und Spaßgesellschaft Hand in Hand. Pecunia nervus rerum – Geld ist der Nerv aller Dinge!