Ein erhellender Blick zurück …

In der Festschrift des Hamburger Abendblattes zum (angeblich) 100 jährigen Bestehen des Verkehrsflughafens in Hamburg-Fuhlsbüttel – überreicht mit freundlicher Empfehlung von „Hamburg Airport“ – aus dem Jahr 2010 findet sich die kühne These, dass die politischen Gruppen und die Umweltbewegung gegen Flughäfen zwar sehr einflussreich wären, jedoch (angeblich) kein umfassendes Verständnis aufwiesen und Fakten nicht wahrnehmen würden. Wörtlich steht dort: „Es ist ja nicht so, dass die Zahlen und Sachverhalte, die gegen Flughäfen genannt werden, alle falsch sind. Aber im Ganzen gesehen sind viele der Argumente, die die Gegner (!) nennen, politisch motiviert und basieren nicht auf der Realität“. Wenige Seiten zuvor säuselt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Flughafen Hamburg GmbH (FHG), Michael Eggenschwiler, noch, dass er „kein Wachstum auf Teufel komm raus“ anstrebt, dass die FHG ihre Nachbarn sehr ernst nimmt und dies zum (angeblich) guten Verhältnis beiträgt. Die z.T. heftigen Debatten um die deutlichen Belastungszunahmen (Fluglärm und -dreck) in den vergangenen Jahren zwischen den Betroffenen und den direkten und indirekten Belastungsverursachern zeigen, dass das „gemeinsame Tischtuch“ weitgehend zerrissen ist. Wie konnte es soweit kommen? Ein Blick in die Belastungsgeschichte ist in diesem Zusammenhang lohnend:

Abb.: Betrieb am Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel in den 1960er Jahren     © Wikipedia, FHH, Thomas

Nach Beendigung des zweiten Weltkriegs übernahm die britische Besatzungsmacht den weitgehend unzerstörten Flugplatz in Hamburg-Fuhlsbüttel. Bereits im Herbst 1945 wurde von der Royal Air Force eine 1.600 Yard (rund 1.465 Meter) lange, provisorische Start- und Landebahn (Behelfsbahn) aus durchlochten Stahlblechen angelegt, um ein besseres Starten und Landen auf der mit Maulwurfshügeln durchsetzten und von Wühlmäusen untergrabenen Graspiste zu ermöglichen. Im Winter 1947/48 beauftragte die Royal Air Force die Hamburger Baubehörde damit, eine 2.000 Yard (rund 1.830 Meter) lange Hauptlandebahn – damals auch als „Schlechtwetterbahn“ bzw. „Startbahn I“ bezeichnet – und zusätzlich eine 1.600 Yard (rund 1.465 Meter) lange Nebenlandebahn („Schönwetterbahn“, „Startbahn II“) zu errichten. Da seinerzeit die propellergetriebenen Flugzeuge lediglich über eine im Vergleich zum Eigen- / bzw. Transportgewicht geringe Schubkraft sowie über eine mäßige Aerodynamik verfügten, wurde angeordnet, die Startbahnen entsprechend der dominanten nordwestlichen (Startbahn II) sowie südwestlichen (Startbahn I) Winde auszurichten. Außerdem wurde darauf geachtet, einen hindernisfreien Anflug zu gewährleisten. Im April 1948 begannen die Arbeiten; sie wurden im Dezember desselben Jahres abgeschlossen.

Aus der Mitteilung 317/57 des Hamburger Senats an die Bürgerschaft vom Oktober 1957 zur Frage eines möglichen Ausbaus des Verkehrsflughafens in Hamburg-Fuhlsbüttel im Zusammenhang mit der in dieser Zeit anstehenden Umstellung der Luftverkehrswirtschaft auf Turbinen-Luftstrahl-Triebwerke (Strahlflugzeuge) ist im Hinblick auf die Lärmproblematik zu entnehmen, dass es unbedingt notwendig sei, alle Maßnahmen zu ergreifen, durch die der Lärm verringert oder gar beseitigt werden kann. Unvermeidliche Lärmentwicklungen in den Flugschneisen seien durch betriebliche Maßnahmen zu verringern. Knapp zwei Jahre später, im August 1959, informiert der Senat erneut die Bürgerschaft über den Stand der Ausbauplanungen (129/59): Die ursprünglich favorisierten Varianten „Bau einer dritten Start- und Landebahn, nordwestlich in einem Abstand von drei Kilometern parallel zur bestehenden Startbahn II“, sowie die „Verlegung des Flughafens nach Schleswig-Holstein (Kaltenkirchen)“ wurden zugunsten einer Verlängerung des bestehenden Pistensystems verworfen.

Abb.: Darstellung der Ausbauplanungen (Pistenverlängerungen) am Verkehrsflughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel im Jahr 1959

Die politischen Diskussionen um den damaligen Flughafenausbau beinhalteten auch grundlegende Zielsetzungen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm. Unter der Überschrift „Maßnahmen zur Verringerung des Fluglärms“ wurde besonders der aktive Lärmschutz herausgestellt. Die Flugzeuge sollten entsprechend der Zusagen der Flugzeughersteller und Luftverkehrsgesellschaften mit geräuschdämpfenden Einrichtungen versehen werden. Ferner war die Vorgabe, alle betrieblichen Möglichkeiten zur Verringerung des Fluglärms auszuschöpfen: (1) Erhöhung des Abflug- bzw. Einflugwinkels, (2) Vermeidung besonders hoher Spitzenbelastungen des Flughafens durch zweckmäßige Flugplangestaltung, (3) Festlegung bevorzugter Start- und Landebahnen, (4) Festlegung der vorzugsweisen Benutzung einer bestimmten An- und Abflugrichtung. Als bereits umgesetzte Lärmschutzmaßnahmen wurden (5) der Bau der Lärmschutzhalle, (6) zeitliche Beschränkungen für Schul- und Reklameflüge, (7) die Heraufsetzung der Mindestflughöhen sowie (8) Beschränkungen des Flughafens für bestimmte, besonders laute Flugzeugtypen herausgestellt.

Seinerzeit verwies der Senat darauf, dass eine Bündelung der Starts in nordwestlicher Richtung (Startbahn II in Richtung Norderstedt [RWY 33]) durch Auflagen der Luftfahrtbehörde erreicht werden kann. Starts auf der Startbahn II in südöstlicher Richtung (Richtung Alsterdorf/Innenstadt [RWY 33]) sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Begründet wurden diese erstmaligen Vorgaben zur bevorzugten Bahnbenutzung mit der Bevölkerungsdichte im unmittelbar vom Lärm der startenden (und landenden) Flugzeuge betroffenen Siedlungsbereich. Dass diese Schutzmaßnahmen die Kapazität und Leistungsfähigkeit des Flughafens einschränken würden, wurde in den damaligen Planungen offen thematisiert.

Eine wesentliche inhaltliche Bestätigung der obigen Regelungen und formale Festsetzung fand im Jahr 1971 statt. Aus Gründen des Lärmschutzes wurden konkrete Regeln zur Benutzung der Start- und Landebahnen festgelegt. Ergänzend wurde zu dieser Zeit eine Nachtflugbeschränkung eingeführt, die in ähnlicher Form bis heute fortbesteht. Sie besagt, dass Luftfahrzeuge zwischen 23 Uhr und 6 Uhr am Hamburger Flughafen nicht starten und landen dürfen. Etwaige Ausnahmen von dieser Regel bilden (planmäßig) verspätete Flüge zwischen 23 Uhr und 24 Uhr.

Abb.: Regelungen zum Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm am Verkehrsflughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel aus dem Jahr 1971

Der zeitliche Sprung um fast ein halbes Jahrhundert in die Jetztzeit offenbart, dass bezüglich der weiteren Entwicklung des Fluglärmschutzes – im Gegensatz zu fast allen anderen Schutzgütern –maximal ein (physikalisch betrachtet) Quantensprung entstanden ist. Die nachfolgende Auflistung vergleicht die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm am Verkehrsflughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel der Jahre 1971 zu 2013:

Änderung der örtlichen Flugbeschränkungen für den Flughafen Hamburg vom 14.10.1971 Luftfahrthandbuch Deutschland, AD 2 EDDH 1-9, Stand: 30.05.2013
2. Für die Benutzung der Start- und Landebahnen gelten folgende Bestimmungen: 2. Bahnbenutzungsregeln
[07:00 Uhr – 22:00 Uhr]

a) Für Starts ist die Bahn 34 [RWY 33] zu benutzen.

Ausnahmegründe:

–       Verkehrslage

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere die Windverhältnisse oder der Zustand dieser Startbahn

Kann auf Grund der Verkehrslage Bahn 34 nicht benutzt werden, ist auf Bahn 05 oder 23 auszuweichen.

[ganztägig]

2.1 Für Starts ist RWY 33 zu benutzen.

Ausnahmegründe:

–       Verkehrslage

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere Witterungs- und Bahnverhältnisse

[07:00 Uhr – 22:00 Uhr]

b) Für Landungen ist Bahn 34 [RWY 33] nicht zu benutzen.

Ausnahmegründe:

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere die Windverhältnisse oder der Zustand der Landebahnen RWY 05/23

[ganztägig]

2.2 Starts auf RWY 15 und Landungen auf RWY 33 sind nur zulässig, wenn

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere Witterungs- und Bahnverhältnisse

dazu zwingen.

[22:00 Uhr – 07:00 Uhr]

c) Für Starts ist Bahn 34 [RWY 33] zu benutzen.

Ausnahmegründe:

Voraussetzungen der Ziffer 2b), also:

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere die Windverhältnisse oder der Zustand der Landebahnen RWY 05/23

Siehe 2.1:

2.1 Für Starts ist RWY 33 zu benutzen.

Ausnahmegründe:

–       Verkehrslage

–       Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere Witterungs- und Bahnverhältnisse

[22:00 Uhr – 07:00 Uhr]

d) Für Landungen ist Bahn 16 [RWY 15] zu benutzen. Ausnahmegründe:

–       die für das Instrumentenanflugverfahren zur Landebahn 16 [RWY 15] festgelegten Wetterminima sind nicht erfüllt

–       ferner unter den Voraussetzungen der Ziffer 2b), also:

o   Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere die Windverhältnisse oder der Zustand der Landebahnen 05/23

–       und bei Vorliegen außergewöhnlicher Verkehrs- und Betriebslagen.

2.3 Von 22:00 Uhr bis 07:00 Uhr ist für Landungen RWY 15 zu benutzen.

Ausnahmegründe:

–       die für das IFR-Anflugverfahren zur RWY 15 festgelegten Wetterminima sind nicht erfüllt

–       ferner unter den Voraussetzungen von 2.2, also:

o   Gründe der Luftverkehrssicherheit, insbesondere Witterungs- und Bahnverhältnisse

–       und bei Vorliegen außergewöhnlicher Verkehrslagen.

[ergänzt]

2.4 Weitere Ausnahmen von den Regelungen unter 2.2 bis 2.3 kann der Flugplatzkontrolldienst im Einvernehmen mit der örtlich zuständigen Luftfahrtbehörde zulassen.

Tab.: Gegenüberstellung der Bahnbenutzungsregeln am Hamburger Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ vom 14.10.1971 mit dem aktuellen Stand vom 30.05.2013. Die Zeitangaben beziehen sich auf die Ortszeit.

Im Grundsatz bestehen heutzutage am Hamburger Verkehrsflughafen drei Bahnbenutzungsregeln (1.-3.) und eine Regelung zu etwaigen Ausnahmen (4.):

  1. Für Starts ist die RWY 33, d.h. die Startbahn 33 in Richtung Norderstedt zu benutzen.
  2. Starts auf RWY 15 und Landungen auf RWY 33, d.h. die Start- und Landebahn in Richtung Alsterdorf/Innenstadt, sind nur in Ausnahmefällen zulässig.
  3. In der Zeit zwischen 22 Uhr und 7 Uhr ist für Landungen die RWY 15, d.h. die Landebahn 15 aus Richtung Norderstedt, zu benutzen.
  4. Weitere Ausnahmeregelungen sind möglich.

Für alle drei Schutzregeln sind (leider) materiell weitreichende Ausnahmevoraussetzungen formuliert. Auffällig ist, dass diese gegenüber dem Stand von 1971 in der derzeit gültigen Fassung inhaltlich ausgeweitet wurden. Für mögliche Abweichungen von der hauptsächlich vorgesehenen nordwestlichen Startrichtung über die RWY 33 gilt nunmehr auch die Verkehrslage als (angeblich) ausreichender Grund. Außerdem wurde mit einer völlig unbestimmten, ergänzenden Regelung die Möglichkeit für weitere Ausnahmen eröffnet. Unabhängig von den neugetroffenen Regeln bzw. Regelungen bleibt jedoch der ursprüngliche Tenor, „Schutz der Bevölkerung“ unbenommen.

Zusammenfassend betrachtet: Spätestens mit Beginn der 1960er Jahre stellt die Lärmbelastung – verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens in Hamburg-Fuhlsbüttel – ein gravierendes Problem dar. Bereits damals wurde politisch vorgegeben, dass ein Teil der Hamburger Bevölkerung – zu Lasten Dritter – weitgehend vom Fluglärm verschont werden soll. Seit 1971 gibt es (zumindest auf dem Papier) eine Nachtflugbeschränkung. Außerdem gilt seit dieser Zeit die Regel, dass Starts und Landungen im Zeitraum zwischen 22 Uhr und 7 Uhr in und aus Richtung Norderstedt, d.h. über die nordwestlich-südöstliche Bahn [RWY 33/15], zu erfolgen haben. Abweichungen davon sind nur unter bestimmten, eng zu fassenden Voraussetzungen zulässig. In Einzelfällen können bestehende Ausnahmegründe wie Luftverkehrssicherheit unter Hervorhebung der Witterungs- und Bahnverhältnisse sowie das Vorliegen von außergewöhnlichen Verkehrslagen Einfluss auf die Betriebsrichtung nehmen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis muss jedoch eindeutig zu Gunsten der Regeleinhaltung ausfallen – dementsprechend sind die technischen und administrativen Rahmenbedingungen zu gestalten.

Fortsetzung folgt …