Warum schließt die Billigstairline easyJet ihre Hamburg-Basis nach nur wenigen Jahren? Um diese Frage hinreichend beantworten zu können, muss als erstes geklärt werden, warum sich easyJet seinerzeit überhaupt entschieden hat, eine Flugbasis in Hamburg zu errichten. Die Liaison begann bereits im Jahr 2003, als ein „Riesenauftrag für Airbus“ in Hamburg-Finkenwerder absprang. Im Sommer 2005 – nachdem der 50., an der Elbe gebaute A319 abgeholt wurde – galt easyJet als größter Airbuskunde. „Hamburg ist einer der Flughäfen, mit denen wir in Verhandlungen über die Errichtung eines norddeutschen Drehkreuzes stehen“, sagte John Kohlsaat, seinerzeit Deutschland-Chef von easyJet. „Neben den Gebühren sei entscheidend, dass der Flughafen eine kurze Bodenzeit zwischen Landung und Start von 20 Minuten ermöglichen könne.“
Abgesehen davon, dass Bodenstandzeiten von lediglich 20 Minuten dazu führen, dass bereits bei kleinsten Störungen im Betriebsablauf der Tagesflugplan völlig aus dem Ruder zu laufen droht, stellt sich die Frage, welchen Verhandlungsspielraum die Haupteigentümerin der Flughafenbetreibergesellschaft (HGV) der Geschäftsleitung seinerzeit eingeräumt hat. Das diesbezügliche Geschäftsgebaren von easyJet muss bereits zu diesem Zeitpunkt allen für die Stadt Hamburg Handelnden bekannt gewesen sein.
Abb.: Malusflieger 2016 – Flugverbindungen mit den häufigsten nächtlich verspäteten Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit am innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel im Jahr 2016. Mit 50 regelwidrigen Nachtflügen belegt easyJet in diesem Negativranking Platz 2
Im Herbst 2013 war es dann soweit: Nach Berlin-Schönefeld folgte mit Hamburg die Eröffnung der zweiten easyJet-Flugbasis in Deutschland; zunächst mit zwei, später dann mit drei Maschinen. „Dieser Schritt ist in vielerlei Hinsicht eine gute Nachricht für unseren Flughafen, unsere Stadt und die Menschen in ganz Norddeutschland“ frohlockte Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler. Etwa 100 „neue“ Stellen für Flugbegleiter und Piloten sollten entstehen, damit verbunden rund eine halbe Million zusätzlicher Fluggäste. Welche Flugziele angesteuert werden sollten, blieb zunächst ein Geheimnis, angeblich um der Konkurrenz nicht zu viel Einblick in die easyJet-Unternehmensstrategie zu gewähren. Möglicherweise war easyJet jedoch schlicht das lokale Verhältnis von Marktangebot und -nachfrage noch nicht klar. Auf jeden Fall galt es firmenseitig, die vom Hamburger Senat im Jahr 2007 initiierten Rabatt- und Förderprogramme (finanzielle Anreize für neue Streckenverbindungen sowie für Steigerungen der transportierten Passagiere auf bestehenden Strecken) maximal auszuschöpfen.
Im Spätherbst 2015 war dann der Meilenstein in Richtung „Ramschflughafen“ vollzogen: Das Vergleichsportal Check24 hatte ermittelt, dass „vom Hamburg Airport zu fliegen, am billigsten ist“. Hierzu gab Michael Eggenschwiler von sich: „Mit unserem Angebot „Preiswert ab Hamburg“ ermöglichen wir allen Norddeutschen, dem gesteigerten Bedürfnis nach Mobilität nachzukommen und machen das Flugzeug immer mehr zum alltäglichen Transportmittel.“ Dass die Passagiere dafür im Kerosindampf bei jeder Witterung unter freiem Himmel mittels WiWo-Gates aus- und einsteigen müssen, erschien zu diesem Zeitpunkt nachrangig.
Dann die ernüchternde Mitteilung von Thomas Haagensen, aktueller Geschäftsführer von easyJet-Deutschland, dass bis Ende März 2018 die in der Hansestadt stationierten Flugzeuge abgezogen werden. Von der Schließung seien 120 bis 130 Beschäftigte in Hamburg betroffen. „Wir werden allen einen Arbeitsplatz an einem anderen Standort anbieten, und wir hoffen, dass so viele Mitarbeiter wie möglich bei uns bleiben“, so Haagensen. Zwar werde die britische Airline weiter nach Hamburg fliegen und 2018 hier voraussichtlich mehr als eine halbe Million Passagiere befördern, jedoch sinke die Fluggastkapazität im Vergleich zum aktuellen Stand um zwei Drittel.
Das Fluglobbyportal „Airportzentrale“ berichtet in diesem Zusammenhang, dass die Schließung der easyJet-Basis in Hamburg auf Überkapazitäten zurückzuführen ist. In einer Stellungnahme gab die Airline an: „easyJet ist davon überzeugt, langfristige Rendite für Aktionäre generieren zu können, die auf der Strategie basiert, bewusst in den Aufbau und die Stärkung führender Stellungen an europäischen Schlüsselflughäfen zu investieren.“ Das klingt selbst der „Airportzentrale“ als Begründung für den Abzug aus Hamburg fadenscheinig: „Die Basis wurde erst vor rund drei Jahren eröffnet, seitdem stetig ausgebaut und von der Airline stets gelobt. Jetzt auf einmal sollen zwei Drittel der Kapazitäten über sein?“
Vielleicht liegt der aktuelle easyJet-Rückzug daran, dass das Rabattprogramm zukünftig nicht mehr in Anspruch genommen werden kann und dass die betriebseigene Kostenkalkulation im Hinblick auf die ab kommender Woche geltende neue Entgeltordnung am Flughafen „Helmut Schmidt“ dem notorischen Zuspätflieger nicht zu Passe kommt? Keine andere Fluggesellschaft hat im Jahr 2017 bisher häufiger das (derzeit noch) bestehende offizielle Betriebsende von 23 Uhr missachtet als easyJet.
Abb.: Das „Who‘s Who“ der Regelbrecher am innerstädtisch gelegenen Regionalflughafen in Hamburg Fuhlsbüttel im Zeitraum Januar bis Mai 2017 – angeführt von easyJet
„Wir wollten Nummer eins oder zwei sein, waren aber nur Nummer vier“, sagte eine (enttäuschte) easyJet-Sprecherin dem Spiegel auf Nachfrage. Es gebe in Hamburg ein Überangebot an Fluglinien, die zum Teil die gleichen Strecken bedienen. Überangebot? Offensichtlich beginnt im Billigflugsektor in Hamburg ein Marktgleichgewicht zu entstehen. Bisher war es derart, dass eine Billigfluglinie mit nahezu jeglicher Flugverbindung nach irgendwo (zumindest temporär) eine verstärkte Passagiernachfrage generieren konnte. Nicht die Nachfrage bestimmte das Angebot, sondern umgekehrt. Dieses auf dem Kopf stehende Wirtschaftsmodell scheint nur noch begrenzt möglich zu sein. Das betreiberseitig penetrant beschworene „Mobilitätsbedürfnis in der Bevölkerung“ stößt an natürliche Grenzen – gut so!