Appell an die Hamburgische Bürgerschaft

Anfang des 16. Jahrhunderts bezeichnete Niccolò Machiavelli Politik als die Summe der Mittel, die nötig sind, um an die Macht zu kommen, sich an dieser zu halten und davon den nützlichsten (Eigen-) Gebrauch zu machen. Heutzutage bezeichnet Politik die Regelung von Angelegenheiten einer Gesellschaft durch auf tradierte Normen und Gebräuche basierende, transparent herbeigeführte und verbindlich umgesetzte Entscheidungen. Im engeren Sinne bezeichnet Politik die Strukturen, Prozesse und Inhalte zur Steuerung politischer Einheiten innerhalb einer Gemeinschaft sowie zwischen mehreren sozialen Gruppen. Politisches Handeln ist auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet, die wertebildend sind und das gedeihliche Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Interessenslagen regeln. Soweit zur Politiklehre.

Maßgeblich für das Ansehen von politischen Entscheidungsträgern (w/m) in der Bevölkerung ist, dass diese glaubhaft sind, d.h. zu ihrem Wort stehen. Kurz gesagt: Die Reputation der Politikerinnen und Politiker hängt (auch) davon ab, wie die von ihnen getragenen Beschlüsse in der Praxis (Realität) umgesetzt werden.

Abb.: Niccolò Machiavelli in einem Bildnis von Santi di Tito um 1515 – Die Philosophie des Machiavellismus, die sich als politischer Realismus versteht, vertritt die Auffassung des jeweiligen Herrschers mit dem Ziel der Sicherung des eigenen Erfolges durch uneingeschränkte Macht, durchgesetzt mit Gewalt, durch unkontrollierten Machtgebrauch und unbegrenzten Machterwerb

Im April 2014 befand die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt einvernehmlich, dass die Belastungen – verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“ – deutlich zu reduzieren sind. Insbesondere die Einhaltung der geltenden Betriebszeit stand im Fokus. Wörtlich heißt es hierzu im sogenannten 10-Punkte-Plan: „Der Senat wird ersucht, eine sehr strenge Einhaltung der Betriebszeiten sicherzustellen und gegenüber den Fluglinien auf eine weitere Reduzierung der Verspätungen und Ausnahmen hinzuwirken“. Seitens der Hamburger (Umwelt-) Politikprominenz wurden seinerzeit folgende Statements abgegeben:

Dr. Andreas Dressel, Vorsitzender der SPD-Fraktion:

Der Hamburger Flughafen hat schon eine Menge für den Lärmschutz getan, wir legen jetzt aber noch eine große Schippe drauf. Wir haben die zunehmenden Beschwerden sehr ernst genommen und ein breit abgestimmtes Maßnahmenpaket vorgelegt. Besonders erfreulich ist, dass wir parteiübergreifend zwischen vier Fraktionen Einigkeit erreicht haben. Wir sollten keinen Parteienstreit um unseren Stadtflughafen führen, hier geht es nur mit einem vernünftigen Interessenausgleich – der ist uns gemeinsam gelungen.“

Birgit Stöver, umweltpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion:

Wir haben mit unserem Antrag, unseren Anfragen und Diskussionen mit Experten im Ausschuss aufgezeigt, dass ein deutlich verbesserter Lärmschutz für Anwohner des Flughafens – wie es im Übrigen die EU-Umgebungslärmrichtlinie vorsieht – politisch gewollt ist. Mit dem interfraktionellen Antrag wird der Druck auf die Verantwortlichen nun noch erhöht. Dem Flughafen wurden mit der inhaltlichen Diskussion Maßnahmen aufgezeigt, die nach einer Pilotphase zu einer Lärmminderung führen. Die CDU spricht sich in der Konsequenz für eine Veränderung der Prioritätensetzung aus, der Schutz der Anwohner muss vor wirtschaftlichen Belangen stehen, denn Lärm macht krank.“

Dr. Anjes Tjarks, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion:

Fluglärm ist eine schwere Belastung für viele Hamburgerinnen und Hamburger. Gerade bei einem innerstädtischen Flughafen ist es besonders wichtig, dass wir den Flugverkehr so erträglich wie möglich organisieren. Dafür gibt es kein Patentrezept. Jeder Verbesserungsversuch zählt. Entscheidend ist, dass der Senat auf eine strenge Einhaltung der Betriebszeiten hinwirkt und die Absenkung des so genannten Lärmschutzdeckels oder die Anhebung des lärmabhängigen Landeentgelts ernsthaft prüft und vorantreibt. Deswegen wird sich auch erst im Oktober, wenn der Senat das bürgerschaftliche Ersuchen beantwortet, erweisen, ob Hamburg beim Fluglärmschutz wirklich vorankommt.“

Dr. Kurt Duwe, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:

Einen effektiven Lärmschutz für die Anwohner und die Erfordernisse eines innerstädtischen Flughafens in Hamburg unter einen Hut zu bekommen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Mit diesem Antrag wird jetzt ein fairer Interessensausgleich angestrebt, der auf den bereits in den vergangenen Jahren erzielten Verbesserungen aufbaut. Mit optimierten Landeanflügen und den bereits avisierten leiseren Flugzeugen ist zu erwarten, dass auch die Vorgaben der Europäischen Lärmschutzrichtlinie erfüllt werden können.“

Abb.: Zentrum der (politischen) Macht, das Hamburger Rathaus. Hier werden die Weichen gestellt, ob das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Bürgerinnen und Bürger im Flughafennahbereich sowie den An- und Abflugschneisen hinreichend Beachtung findet oder weiterhin die wirtschaftlichen Belange des Flughafenbetreibers und der Fluggesellschaften ungezügelt bedient werden und das individuelle Mobilitätsinteresse der Spaßgesellschaft alleinig maßbildend sein soll.

Ein Dreivierteljahr nach Beschluss des 10-Punkte-Plans, im Januar 2015, wurde in der Hamburgischen Bürgerschaft der sogenannte 16-Punkte-Plan zur Belastungsreduzierung, ebenso parteiübergreifend konsensual, beschlossen. Wörtlich heißt es dort: „Vor dem Hintergrund der notwendigen Akzeptanz für den innerstädtischen Flughafen in Fuhlsbüttel werden alle mit der Umsetzung dieses Ersuchens befassten Stellen gebeten, die Aufträge des Ersuchens umzusetzen.“ Sowohl den Zielen des 10-Punkte-Plans als auch den neuen Aspekten des 16-Punkte-Plans ist Rechnung zu tragen. Im Hinblick auf die Einhaltung der Nachtruhe wird der Senat ersucht – gemeinsam mit der Flughafen Hamburg GmbH (FHG), der Fluglärmschutzkommission (FLSK) und der Deutschen Flugsicherung (DFS GmbH) – die zugesagte Dokumentation der Verspätungen vorzulegen und auszuwerten sowie darzustellen, welche Maßnahmen jeweils mit welchem Erfolg ergriffen wurden, um die Verspätungen zu reduzieren. Diesmal sind es die Präses der Hamburger Umweltbehörde und der Hamburger Wirtschaftsbehörde, die sich positionierend zu Wort melden:

Jens Kerstan, amtierender Umweltsenator, erklärt zum 16-Punkte-Plan: „Unser Ziel ist es, die Lärmbelastung für die Hamburgerinnen und Hamburger durch den Flughafen so gering und so erträglich wie möglich zu gestalten. Der 16-Punkte-Plan bringt uns hier einen großen Schritt weiter. Durch eine Gesetzesänderung wollen wir die Position der Fluglärmschutzbeauftragten stärken. Mit dieser Regelung setzt Hamburg bundesweit ein Zeichen für mehr Fluglärmschutz. Ich freue mich, dass es gelungen ist, über den 16-Punkte-Plan hinaus zusammen mit dem Flughafen eine Pünktlichkeitsoffensive mit den Airlines zu vereinbaren. Zusammengenommen werden die Maßnahmen für viele Bürgerinnen und Bürger eine spürbare Entlastung bringen.“

Frank Horch, amtierender Wirtschaftssenator, ergänzt: „Der auf Betreiben des Senats intensivierte Dialog mit den Fluglärmbetroffenen und den Nachbargemeinden wird zukünftig im Rahmen einer vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit in der Allianz für Fluglärmschutz fortgeführt werden können. Die Bürgerbeteiligung wird durch einen Zuwachs an öffentlich verfügbaren Informationen und neue Foren in den betroffenen Stadtteilen konsequent gestärkt.“

Auch der aktuelle Senat ist sich der Belastung eines Teils der Bevölkerung durch den Flughafenbetrieb bewusst. Im Koalitionsvertrag mit dem Titel „Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg“ findet sich daher der Passus: „Der Flughafen Hamburg muss gerade als großer stadtnaher innerstädtischer Flughafen im Einklang mit betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern stehen. Hierfür wird der von der Bürgerschaft beschlossene 16-Punkte-Plan konsequent umgesetzt, und es wird permanent nach Möglichkeiten gesucht, den Lärmschutz weiter zu verbessern: Das Lärmkontingent für den Flughafen Fuhlsbüttel ist festgeschrieben und gedeckelt weit im Übermaß erteilt worden. Das Nachtflugverbot gilt. Leisere Weniger laute Flugzeuge werden durch Landetarife begünstigt, (extrem) laute und verspätet (startende und) landende Flugzeuge stärker gebühren entgeltbelastet. Alle Belange des Fluglärmschutzes und der Entwicklung des Flughafens sollen zukünftig auch in einer vom Flughafen initiierten Allianz für den Lärmschutz besprochen werden“.

Abb.: Wenn Politik und Verwaltung den vom Fluglärm und Flugdreck betroffenen Bürgerinnen und Bürger Zusagen im Hinblick auf eine Belastungsreduzierung machen, die dann nachweislich nicht eingehalten werden, erzeugt dies Enttäuschung und Wut. Nicht vergessen: Fluglärmbetroffene sind WählerInnen und zur Not auch KlageführerInnen.

Die Entwicklung der gesamten Belastungssituation, verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens in Hamburg-Fuhlsbüttel, steht im gänzlichen Widerspruch zu den politischen Absichtsbekundungen:

Die über die Anhänge der Betriebsgenehmigung des „Helmut Schmidt-Airports“ verbindlich festgelegten Nachtflugbeschränkungen werden in vier von fünf Nächten missachtet. Von Januar bis Juli 2017 mussten mit 431 Landungen von Linien- und Touristikfliegern nach 23 Uhr bereits mehr Regelverstöße festgestellt werden als im gesamten Jahr 2013. Hinsichtlich der nächtlich verspäteten Starts ist die Entwicklung noch dramatischer. Bereits im Mai 2017 war mit 60 Starts die Jahressumme der Vergleichsjahre 2011 bis 2013 erreicht bzw. überschritten. Im Juni 2017 wurde dann das Jahresniveau von 2014 und 2015 „getoppt“ und im Juli sogar das des bisherigen Malusjahres 2016.

Die Bahnbenutzungsregeln sind ebenso Teil der Betriebsgenehmigung. Ihr Zweck ist es, dass möglichst wenige Menschen vom Fluglärm in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt werden. Die Einhaltung der umfassenden Bahnbenutzungsregelung (d.h. der gesamten Regeln und Ausnahmen) ist noch schlechter als die der Nachtflugbeschränkungen. Im gesamten ersten Halbjahr 2017 wurde lediglich in zwei Nächten nicht gegen die Bahnbenutzungsregeln verstoßen (jeweils eine Nacht im Januar und im März). Die Vielzahl der Regelverstöße zeigt zugleich die katastrophal schlechte Einhaltung der Gesamtregelung.

Im Gegensatz zu der Behauptung des Chefs der kommerziellen Flughafenbetreibergesellschaft (FHG), Michael Eggenschwiler, hat der Fluglärm in den An- und Abflugschneisen sowie im Nahbereich des Flughafens in den vergangenen Jahren zwischen 6 Uhr und 22 Uhr um 22 % zugenommen. Der besonders störende Nachtlärm (22 Uhr bis 23 Uhr) ist in diesem Zeitraum sogar um 42 % angestiegen. Es hat sich daher nicht – wie gerne von Luftverkehrslobbyisten und Fluglärmrechtfertigern (w/m) in Verwaltung und Politik vorgebracht – das „subjektive Lärmempfinden“ der Betroffenen geändert, sondern es ist seit 2013 objektiv wesentlich lauter geworden.

Über die Entwicklung der flugverkehrsbedingten Schadstoffbelastung der Luft (z.B. NOx, Ultrafeinstaub, BTEX, Kerosin-Additive) wird bisher von offizieller Seite fast gar nicht berichtet. Dabei hat die Hamburger Umweltbehörde sicherzustellen, dass aufgrund der unzureichenden Luftqualität im Stadtgebiet Minderungsmaßnahmen gegen alle Emittenten zu richten sind. Nur der Luftverkehr ist (anscheinend) davon ausgenommen. Wie ist sonst zu verstehen, dass innerhalb von nur drei Jahren der Zuwachs an krankmachendem NOx – mit behördlichem Segen – fast 20 % betragen darf?! Bis zum Jahr 2025 ist in Hamburg sogar mit einem Anstieg des luftverkehrsbezogenen NOx-Ausstoßes gegenüber 2014 von 56 % zu rechnen!

Abb.: Wenn Schutzregeln penetrant missachtet werden, bedarf es eines strikten Verbotes. Mit der Einführung und Umsetzung eines echten Nachtflugverbotes (werktags von 22 Uhr bis 6 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 22 Uhr bis 8 Uhr) wird – im Gegensatz zur jetzigen lockeren Nachtflugbeschränkung – die Bevölkerung vor vermeidbarem und damit verbunden unzumutbarem Fluglärm wirksam geschützt. Diese Maßnahme des aktiven Fluglärmschutzes ist gleichsam wirksam wie verhältnismäßig. Sie steht sowohl im Einklang mit den Zielen der EG-Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG) als auch der EG-Betriebseinschränkungsrichtlinie (EU/598/2014).

 

Appell an die Politikerinnen und Politiker der Hamburgischen Bürgerschaft

Die Bekämpfung des Fluglärms ist nicht nur nach wissenschaftlichen Erkenntnissen im Interesse der körperlichen Integrität der Bürgerinnen und Bürger strikt geboten, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Abwägungen. Die Fluglärmbekämpfung ist eine grundrechtliche Pflicht, deren Erfüllung nicht ausschließlich davon abhängen kann, welche Maßnahmen gegenwärtig technisch machbar oder wirtschaftlich bzw. politisch opportun sind. Maßgebliches Kriterium kann in einer am Wohl des Menschen orientierten Rechtsordnung letztlich nur sein, was unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen maximal dauerhaft zugemutet werden darf, ohne dass die Gesundheit der Betroffenen nennenswert darunter leidet. Kurz gesagt: Es gibt kein Recht auf Billigflieger, jedoch eines auf körperliche und seelische Unversehrtheit.

Der Betrieb eines innerstädtischen Flughafens inmitten einer dicht besiedelten Metropolregion bedingt die umfassende Rücksichtnahme auf die vom Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowohl im Nahbereich um den Flughafen als auch in den An- und Abflugkorridoren bis weit in das Umland hinaus. Hierzu sind zwingend die bereits vor Jahrzehnten festgelegten Schutzregeln strikt einzuhalten. Notfalls ist die Anzahl an zulässigen Flugbewegungen pro Stunde (Koordinationseckwerte) derart abzusenken, dass die Regeln sicher eingehalten werden können.

Setzen Sie sich als gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Hamburgischen Bürgerschaft aktiv dafür ein, dass Ihre parteiübergreifend gemeinsam getroffenen Beschlüsse zur Verringerung der luftverkehrsbedingten Belastungen konsequent umgesetzt werden. Es geht um unsere Gesundheit und Ihre politische Glaubwürdigkeit!