„So selten wir möglich …“

Ende April 2016 berichtete das Hamburger Abendblatt (HA) euphorisch, dass die Flughafen Hamburg GmbH (FHG) in Verbindung mit Air Berlin, Condor, easyJet, Eurowings/Germanwings sowie Lufthansa eine sogenannte „Pünktlichkeitsoffensive“ startet. Mit dieser freiwilligen Selbstverpflichtung (Anmerkung: die bloße Einhaltung des geltenden Rechts würde reichen) erklärten der Flughafenbetreiber und die teilnehmenden Fluggesellschaften, „so selten wie möglich“ zu spät zu kommen, d.h. nach 23 Uhr in Hamburg zu starten oder zu landen. Damit sei der Luftfahrtstandort Hamburg bundesweit Vorreiter für die Zusammenarbeit von Flughafen und Fluggesellschaften bei der Reduzierung von Verspätungen, hieß es seinerzeit vollmundig.

Bereits mehrfach musste in diesem Jahr über die mangelhafte bis ungenügende Umsetzung der „Pünktlichkeitsdefensiveoffensive“ im NoFlyHAM-Blog berichtet werden:

Im Zusammenhang mit dem aktuellen (realistisch: chronischen) Kofferchaos am „Helmut Schmidt“-Flughafen, offenbart der FHG-Vorsitzende, Michael Eggenschwiler, dass er sich aufgeregt hat und an die Decke gegangen ist, als er von der neuerlichen Minderleistung erfuhr. Der 5. August sei ein schwarzer Samstag für ihn gewesen; solche Tage bräuchte er nicht mehr.

Die Überschrift des zugehörigen Artikels der HA-Printausgabe „Gepäckabfertigung? – Wir können das“ wurde mittlerweile in der Onlineversion geändert in „Flughafen-Chef: Ich glaube nicht, dass höhere Löhne helfen“ – möglicherweise auch deshalb, weil nur noch 16 % der Leserinnen und Leser des HA glauben, dass Herr Eggenschwiler das Debakel in den Griff bekommt

Wenn bereits die verspätete Kofferrückgabe Herrn Eggenschwiler sichtlich nah geht, wie muss es ihm erst ergehen, wenn er die neuesten Zahlen der nächtlichen Starts und Landungen nach Betriebszeitende erhält? Es muss ihn schier zerreißen, denn seit mindestens 2011 hat es noch nie so viele Missachtungen der 23 Uhr-Grenze gegeben, wie in diesem Jahr. Von 212 Nächten (Januar bis Juli) wurde in lediglich 47 Nächten die reguläre Betriebszeit eingehalten. Dies entspricht einer Regeleinhaltung von minimalen 22 %. Anders ausgedrückt: Nur in jeder fünften Nacht wurden die Bewohnerinnen und Bewohner in den An- und Abflugschneisen sowie im Flughafenumfeld in diesem Jahr bisher nicht unzumutbar zusätzlich belästigt. In 42 Nächten wurde sogar noch nach 24 Uhr geflogen!

Abb.: Auflistung der Missachtungen der geltenden Nachtflugbeschränkung am innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel im Zeitraum Januar bis Juli 2017

Im April 2014 befand die Hamburger Bürgerschaft einvernehmlich, dass die Belastungen, verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“, deutlich zu reduzieren sind. Insbesondere die Einhaltung der Betriebszeit stand im Fokus. Wörtlich heißt es hierzu im sogenannten 10-Punkte-Plan: „Der Senat wird ersucht, eine sehr strenge Einhaltung der Betriebszeiten sicherzustellen und gegenüber den Fluglinien auf eine weitere Reduzierung der Verspätungen und Ausnahmen hinzuwirken“. Ein Dreivierteljahr später, im Januar 2015, wurde dann in der Hamburger Bürgerschaft der sogenannte 16-Punkte-Plan zur Belastungsreduzierung ebenso parteiübergreifend konsensual beschlossen: Im Hinblick auf die Einhaltung der Nachtruhe wird der Senat ersucht – gemeinsam mit der Flughafen Hamburg GmbH (FHG), der Fluglärmschutzkommission (FLSK) und der Deutschen Flugsicherung (DFS GmbH) – die zugesagte Dokumentation der Verspätungen vorzulegen und auszuwerten sowie darzustellen, welche Maßnahmen jeweils mit welchem Erfolg ergriffen wurden, um die Verspätungen zu reduzieren. Hierzu ist quartalsmäßig ein Bericht ins Internet zu stellen …

Mal sehen, wie sich seit April 2014 bis Juli 2017 die Anzahl an nächtlich verspäteten Starts und Landungen entwickelt hat, denn dies stellt ein bedeutsames Maß für die betroffene Bevölkerung im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Politik und Verwaltung dar.

Abb.: Darstellung der Jahres-Summenkurven der nächtlich verspäteten Landungen am innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel der Jahre 2011 bis 2017

Bereits der Vergleich der Jahres-Summenkurven der nächtlich verspäteten Landungen der Jahre 2014 bis 2017 zeigt, dass sich – entgegen der Vorgaben des 10- und 16-Punkte-Plans sowie der „Pünktlichkeitsoffensive“ und auch der novellierten Entgeltordnung (Teil I, Teil II) – die Belastungssituation Jahr für Jahr weiter wesentlich verschlechtert hat. Von Januar bis Juli 2017 mussten mit 431 Landungen von Linien- und Touristikfliegern bereits mehr Regelverstöße festgestellt werden als im gesamten Jahr 2013!

Da die Störung der Nachtruhe für die Betroffenen absolut belastend ist und nicht relativ, stellen Quervergleiche zu den Vorjahren nur eine grobe Erstbewertung dar. Einem schleichenden Werteverfall ist daher ein Riegel vorzuschieben (vgl. „shifting baseline“): Um einerseits dem Regel- / Ausnahmeverhältnis gerecht zu werden und andererseits tatsächliche Unwägbarkeiten (z.B. „schwere Gewitter“) hinreichend einzubeziehen, ergibt sich (statistisch gesichert) eine Anzahl von maximal 36 bis 55 Nächten im Jahr, an denen unvorhersehbare Ereignisse eintreten können, die eine Überschreitung der (derzeit noch bestehenden) Betriebszeit von 23 Uhr rechtfertigen. Unter der Annahme, dass in diesen Nächten 3 bis 5 Landungen davon betroffen sind, ergibt dies eine maximal ableitbare Anzahl an Landungen außerhalb der Betriebszeit von 110 bis 275 Stück pro Jahr. Alles andere sind (geplante) Auswüchse von Missmanagement der Fluggesellschaften sowie Flughafenbetreiber zu Lasten Dritter.

Abb.: Darstellung der Jahres-Summenkurven der nächtlich verspäteten Starts am innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ in Hamburg-Fuhlsbüttel der Jahre 2011 bis 2017

Hinsichtlich der Entwicklung der nächtlich verspäteten Starts ist die Negativentwicklung noch eklatanter: Bereits im Mai 2017 war mit 60 Starts die Jahressumme der Vergleichsjahre 2011 bis 2013 erreicht bzw. überschritten. Im Juni 2017 wurde dann das Jahresniveau von 2014 und 2015 erreicht und im Juli das des bisherigen Malusjahres 2016. Es ist unabkehrbar, dass – trotz Punktepläne und Pünktlichkeitsoffensiven – am Jahresende ein neuer Negativrekord in der Bilanz zu verbuchen ist.

Da Starts vom Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ zeitlich wesentlich besser zu planen sind als Landungen irgendwo her aus Europa, ergibt sich als Unvermeidbarkeitsgrenze eine Anzahl von maximal 10 bis 55 Starts nach 23 Uhr im gesamten Jahr. Diese Zahl leitet sich ab aus 3 – 5 % der Nächte mit 1 bis 3 Flügen.

Um den Bogen zum Kofferchaos zu schließen: Herr Eggenschwiler, nicht die verspätete Rückgabe der Gepäckstücke sollte Sie in Rage bringen und Sie zu einer öffentlichen Entschuldigung nötigen, sondern die katastrophale Missachtung des Betriebsendes! Für die maximale Wartezeit am Kofferband gibt es keine Vorgabe in der Betriebsgenehmigung, im Gegensatz zu den Nachtflugbeschränkungen; genauso wie für die Bahnbenutzungsregelung.

 

Fazit

Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hat über den 10-Punkte-Plan und 16-Punkte-Plan einen klaren Arbeitsauftrag an den regierenden Senat dahingehend erteilt, dass die Belastungen – verursacht durch den Betrieb des „Helmut Schmidt-Airports“ – maßgeblich zu reduzieren sind. Im Koalitionsvertrag über die Zusammenarbeit in der 21. Legislaturperiode der Hamburgischen Bürgerschaft zwischen der SPD, Landesorganisation Hamburg und Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Hamburg, mit dem Titel „Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg“ findet sich daher zu Recht der Passus: „Der Flughafen Hamburg muss gerade als großer stadtnaher innerstädtischer Flughafen im Einklang mit betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern stehen. Hierfür wird der von der Bürgerschaft beschlossene 16-Punkte-Plan konsequent umgesetzt, und es wird permanent nach Möglichkeiten gesucht, den Lärmschutz weiter zu verbessern: Das Lärmkontingent für den Flughafen Fuhlsbüttel ist festgeschrieben und gedeckelt. Das Nachtflugverbot gilt. Leisere Flugzeuge werden durch Landetarife begünstigt, laute und verspätet landende Flugzeuge stärker gebührenbelastet. Alle Belange des Fluglärmschutzes und der Entwicklung des Flughafens sollen zukünftig auch in einer vom Flughafen initiierten Allianz für den Lärmschutz besprochen werden“.

Wie sind die Entwicklungen der Verspätungszahlen mit diesen inhaltlichen Vorgaben in Einklang zu bringen? Gutes Regieren geht anders!