Wer zu spät fliegt …

Wer als Linien- und Touristikfluggesellschaft am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ außerhalb der offiziellen Betriebszeit nach 23 Uhr mit seinen Flugzeugen noch starten oder landen möchte, braucht nur etwas Geld. Dank einer mehr als großzügigen Verspätungsregelung darf bei (angeblich) nachweisbar unvermeidbaren Verspätungen (derzeit) noch bis 23:59 Uhr weiter gestartet und gelandet werden. Den „Nachweis“ können die Fluggesellschaften selbst erbringen, auch mit mehrwöchiger Verzögerung. Zumeist wird eine Störung im Betriebsablauf, die zu einer Verzögerung in der Tagesrotation geführt hat – welche dann zeitlich nicht mehr aufgeholt werden konnte – als Ausrede „Begründung“ vorgetragen. Eine Kontrolle des Wahrheitsgehaltes der Angaben ist für die zuständige Aufsichtsbehörde (BUE) faktisch unmöglich …

Aufbauend auf dem Prinzip, dass Geld der Nerv aller Dinge ist, sollte mit Einführung einer novellierten Entgeltordnung ab Mitte Juni 2017 das bestehende Übermaß an nächtlich verspäteten Starts und Landungen eingedämmt werden. Leider wurden die „monetären Daumenschrauben“ bisher unzureichend angezogen: Nach aktueller Entgeltordnung erhöht sich beispielsweise der an die Betreibergesellschaft (Flughafen Hamburg GmbH) zu entrichtende Spätflieger- und Verspätungsablass beim Einsatz eines Airbus A320 mit 180 Passagieren an Bord ab 22 Uhr gegenüber dem Zeitraum von 6 Uhr bis 21:59 Uhr um 2,84 Euro pro Passagier. Ab 23 Uhr erhöht sich dieser Betrag dann im Viertelstundentakt bis 23:59 Uhr von 6,62 Euro p.P. über 7,56 Euro p.P. und 8,51 Euro p.P. auf 10,40 Euro p.P.. Ziel der Steigerungsrate ist, dass seitens der Fluggesellschaften „so selten wie möglich“ von der derzeit (noch) bestehenden Verspätungsregelung Gebrauch gemacht wird – zum „bestmöglichen“ Schutz der Bevölkerung vor vermeidbarem (und damit verbunden) unzumutbarem nächtlichen Fluglärm.

Abb. 1: Anzahl geplanter Flugbewegungen (Linien- und Touristikflüge) zwischen 22 Uhr und 23 Uhr sowie Anzahl verspäteter Flugbewegungen (Linien- und Touristikflüge) nach 23 Uhr und der daraus resultierende Verspätungsanteil am innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ von April bis Oktober 2017 (Sommerflugplan)

Die (im Mehrheitsbesitz der Freien und Hansestadt Hamburg befindliche) kommerzielle Flughafenbetreibergesellschaft (FHG) gibt in ihren Monatsberichten an, dass von April bis September 2017 lediglich 0,5 % bis 1,2 % aller stattgefundenen Flugbewegungen von der Verspätungsregel nach 23 Uhr Gebrauch gemacht haben. Betrachtet wird dabei jeweils die gesamte 17-stündige Betriebszeit. Ein unsinniger Bezug, der allein dazu dienen soll, das absolute Verspätungsdebakel zu relativieren und damit verbunden zu verharmlosen!

Während der sieben Monate des Sommerflugplans 2017 (April bis Oktober) waren monatlich zwischen 509 und 622 Flugbewegungen in der letzten offiziellen Betriebsstunde von 22 Uhr bis 22:59 Uhr vorgesehen. Hiervon verspäteten sich monatlich 62 bis 184 Starts oder Landungen derart, dass die 23 Uhr Grenze gerissen wurde. Der Verspätungsanteil variiert in dieser Zeit zwischen 12 % im April und 30 % im Juli. Im Mittel (Medianwert) beträgt er 20 %. Anders ausgedrückt: Von 100 in der letzten Betriebsstunde geplanten Starts und Landungen werden 20 erst nach 23 Uhr abgewickelt. Von einer „strengen Nachtflugbeschränkung“ kann keine Rede sein!

Es lohnt sich, genau zu gucken, wer die notorischen Verspätungsflieger sind: Da die FHG es vorzieht, seit der Sommersaison 2017 keine brauchbaren Flugpläne mit konkreten Start- und Landezeiten mehr preiszugeben (vgl. NoFlyHAM-Beiträge „Vollkoordiniert Planlos“ und „Ersatzflugplan“), gestaltet sich eine qualifizierte Nachweisführung von Verspätungen (nicht nur für die ehrenamtlich im Fluglärmschutz tätigen Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die Kontrollbehörde) schwierig bis unmöglich. Mag dies der Hauptgrund für die FHG sein, nur noch tageweise die Flugpläne im Internet zu veröffentlichen?

Die Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW) haben aus den FHG-Tagesplänen in Kombination mit den Daten des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD e.V.) die Flugzeiten (mühsam) rekonstruiert und hieraus einen Ersatz-Sommerflugplan für den „Helmut Schmidt-Airport“ – zumindest für die letzte Betriebsstunde – erstellt: Demnach waren von April bis Oktober 2017 zwischen 22 Uhr und 22:59 Uhr insgesamt 4.609 Starts und Landungen geplant. Hiervon fanden 837 erst nach 23 Uhr statt. Hauptnutzer der Slots in der letzten Betriebsstunde sind folgende Fluggesellschaften: Eurowings mit 19 % der Flugbewegungen, easyJet mit 15 %, Germanwings (14 %), Lufthansa (9 %), Condor (8 %), TAP Portugal (5 %), Niki Luftfahrt (4 %), Austrian Airlines (4 %), Brussels Airlines (4 %), TUIfly (3 %), SAS Scandinavian Airlines (3 %), Ryanair (3 %), Germania (2 %), Turkish Airlines (2 %), AirBerlin (1 %).

Festzustellen ist, dass sich aus den geplanten An- und Abflugzeiten der letzten Betriebsstunde nur bedingt das Ausmaß und der Anteil an tatsächlichen Verspätungen ableiten lassen. Während einige Fluggesellschaften lediglich einzelne nächtliche Verspätungen nach 23 Uhr generieren (z.B. Air France, TAP Portugal, SAS Scandinavian Airlines) – die dann möglicherweise auch als unvermeidbar angesehen werden können – nutzen andere Fluggesellschaften die bestehende Verspätungsregel als lukratives Geschäftsmodell (z.B. easyJet, Euro- und Germanwings, Niki Luftfahrt). Bezeichnend ist, dass der Billigfliegeranteil (Low Cost Carrier und Low Fare Carrier) an den verspäteten Nachtflügen nach 23 Uhr 75 % beträgt. Dies bedeutet, dass drei von vier verspätete Starts und Landungen auf das Konto der Billigfliegerei gehen!

Auffällig ist außerdem, dass z.B. der (voraussichtliche) Malusflieger 2017 – d.h. die Flugverbindung mit der höchsten Anzahl an nächtlich verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr – easyJet (EZY 8346 von Hamburg nach London-Gatwick mit bisher 55 Verstößen gegen die Nachtflugbeschränkung) eigentlich planmäßig für 21:45 Uhr vorgesehen ist. Dieser Billigheimer bringt es fertig, sich (im Verspätungsfall) durchschnittlich um 1 Stunde und 37 Minuten zu verspäten! Schlechtes Management (Umlaufplanung) ist bei easyJet offensichtlich „unvermeidbar“. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, dass die nächtlich verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr nicht nur durch geplante Flugverbindungen der Vorstunde entstehen, sondern auch durch noch länger verspätete Flüge. Insgesamt 14 % der Verspätungsflüge nach 23 Uhr gehen auf das Konto von Flugverbindungen, die vor 22 Uhr geplant waren!

Den nachfolgenden (Ersatz-)Sommerflugplänen der letzten Betriebsstunde am „Helmut Schmidt-Airport“ sind die Fluggesellschaften mit der entsprechender Flugnummer und dem Abflug- bzw. Ankunftsflughafen inklusive der vorgesehenen Start- bzw. Landezeit sowie der Anzahl der Verspätungen nach 23 Uhr zu entnehmen. Deutlich wird, dass sich die Verbindungen mit den meisten Verspätungen auf den (Plan-)Zeitraum zwischen 22:25 Uhr und 22:35 Uhr konzentrieren. Aber auch zuvor und danach gibt es Flugverbindungen (z.B. EW 7827 mit 43 Regelverstößen, EZY 6932 = 35, EZY 2324 = 30, LH 2086 = 30, LH 034 = 20, HG 3393 = 19, EW 7049 = 18, EZY 3406 = 16, EZY 3498 = 16, HG 3265 = 15), die durch weit überdurchschnittlich häufige Fehlleistungen auffallen. Hieraus kann geschlossen werden, dass das bisherige Entgeltsystem nicht in der Lage ist, hinreichende finanzielle Anreize zu geben, um ein systematisches zu spät Fliegen zu verhindern. Es bedarf der deutlichen Nachsteuerung!

Abb. 2: Flugplandaten (Gesellschaft, Flugnummer, Start-/Zielflughafen) des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“ während der Sommersaison 2017 (April bis Oktober), inkl. Anzahl der Verspätungen nach 23 Uhr, Flugbewegungstyp und Status als Billigflieger (1 = Low Cost Carrier, 0,5 = Low Fare Carrier) bzw. traditionelle Fluggesellschaft (0 = Full Service Carrier)

Abb. 3: Flugplandaten (Gesellschaft, Flugnummer, Start-/Zielflughafen) des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“ während der Sommersaison 2017 (April bis Oktober), inkl. Anzahl der Verspätungen nach 23 Uhr, Flugbewegungstyp und Status als Billigflieger (1 = Low Cost Carrier, 0,5 = Low Fare Carrier) bzw. traditionelle Fluggesellschaft (0 = Full Service Carrier)

Abb. 4: Flugplandaten (Gesellschaft, Flugnummer, Start-/Zielflughafen) des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“ während der Sommersaison 2017 (April bis Oktober), inkl. Anzahl der Verspätungen nach 23 Uhr, Flugbewegungstyp und Status als Billigflieger (1 = Low Cost Carrier, 0,5 = Low Fare Carrier) bzw. traditionelle Fluggesellschaft (0 = Full Service Carrier)

Abb. 5: Flugplandaten (Gesellschaft, Flugnummer, Start-/Zielflughafen) des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens „Helmut Schmidt“ während der Sommersaison 2017 (April bis Oktober), inkl. Anzahl der Verspätungen nach 23 Uhr, Flugbewegungstyp und Status als Billigflieger (1 = Low Cost Carrier, 0,5 = Low Fare Carrier) bzw. traditionelle Fluggesellschaft (0 = Full Service Carrier)

Fazit:

Am 8. November 2017 hat sich die Hamburgische Bürgerschaft mit den jährlichen Berichten der Fluglärmschutzbeauftragten über die Entwicklung der Fluglärmsituation und des Senats zur Umsetzung des 16-Punkte-Plans befasst. In der umfassenden Debatte wurde deutlich, dass alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien erkannt haben, dass es einer erheblichen Belastungsreduzierung bedarf.

Die Zeiten, in denen die vom Fluglärm und Flugdreck betroffenen Bürgerinnen und Bürger mit ihren berechtigten Beschwerden als das Hauptproblem dargestellt wurden, müssen endgültig vorbei sein. Ebenso das bloße statistische Verwalten der Verspätungszahlen. Es bedarf einschneidender Maßnahmen, um einen gerechten Interessensausgleich zwischen den Fluggesellschaften und der Flughafenbetreibergesellschaft einerseits und den Betroffenen andererseits herzustellen. Derzeit sind wir davon weit entfernt!