Kein Recht im Unrecht

Die Anzahl an nächtlich verspäteten Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit (d.h. nach 23 Uhr) am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ hat sich von 2013 (n = 590) bis 2017 (n = 1.229) mehr als verdoppelt (+ 108 %). Die Anzahl an Flugbewegungen insgesamt ist in diesem Zeitraum dagegen „nur“ von 143.802 im Jahr 2013 auf 159.780 im Jahr 2017 angestiegen. Während der prozentuale Anstieg der Flugbewegungen 11 % beträgt, ist der der nächtlich verspäteten Flüge zehn Mal stärker angestiegen (vgl. BUND-Fluglärmreport). In diesem Zusammenhang stellen sich unmittelbar die Fragen: Wer ist Verursacher dieses weit überproportionalen Belastungsanstiegs? Und: Wem obliegt die Verantwortung dafür, dass das vorherrschende Belastungsübermaß eingedämmt wird?

Abb.: Ex iniuria ius non oritur – Aus Unrecht entsteht kein Recht. „Justitia“ von Maarten van Heemskerck (1556)

Der kommerzielle Flughafenbetreiber (Flughafen Hamburg GmbH – FHG) versucht sich aus der Verantwortung für das Verspätungsdebakel zu stehlen, indem er angibt, er sei lediglich für 3 % der nächtlich verspäteten Starts und Landungen verantwortlich (vgl. NDR vom 12.06.18). Dreist gibt die Flughafensprecherin sogar an, dass die Hansestadt – nicht etwa die FHG – ein minderschwerer Verspätungstreiber sei. Ein Blick in die entsprechenden Textpassagen im HAM-Planfeststellungsbeschluss (1998), das HAM-Oberverwaltungsgerichtsurteil (2001) sowie die hauseigene Flughafenordnung (2017) belegt jedoch eindeutig, dass mit dem im Jahr 1967 erteilten Recht, einen Verkehrsflughafen zu betreiben, auch die Pflicht einhergeht, diesen Betrieb ordnungsgemäß – d.h. nach geltendem Recht – durchzuführen. Hierzu zählt unzweifelhaft auch die strikte Beachtung der Schutzbestimmungen für die Bevölkerung. Es ist daher die unmittelbare Aufgabe der FHG, für die Einhaltung der Nachtflugbeschränkungen Sorge zu tragen – unabhängig davon, ob die FHG (angeblich) nur 3 % der nächtlich verspäteten Starts und Landungen selbst herbeiführt.

Wenig hilfreich – wenngleich wahrscheinlich anders vorgesehen – ist in diesem Zusammenhang der Artikel des Hamburger Abendblattes vom 23.06.18, in welchem versucht wird, durch einen relativierenden Vergleich (Wie steht es mit der Beachtung der jeweiligen Nachtflugbeschränkungen an anderen deutschen Flughafenstandorten?) das absolute Belastungsübermaß in Hamburg zu verharmlosen. Hier bedarf es des klaren Hinweises an die Redakteure, dass es kein Recht im Unrecht gibt. Nur weil an anderen Standorten ggf. die Einhaltung der dortigen Nachtflugbeschränkungen noch schlechter ausfällt, entsteht keine Berechtigung für den Hamburger Verkehrsflughafenbetreiber „gleichzuziehen“.

Außerdem zeugt der Bezug der verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr auf die Anzahl an Flugbewegungen über den gesamten Betriebstag und sogar das gesamte Betriebsjahr von einem geringen Systemverständnis. Verspätungen, die während des Betriebstages „angesammelt werden“, d.h. aus vorherigen Flugumläufen stammen, sind nicht als unvermeidbar anzusehen. Eine schlechte (d.h. zu knapp bemessene) Umlaufplanung, stellt keinen tragenden Verspätungsgrund dar. Wird sinnhafter Weise für die Verspätungsquote die letzte Betriebsstunde als Maß heran gezogen, schnellt der Kennwert für den „Helmut Schmidt-Airport“ von 0,65 % (laut Hamburger Abendblatt) auf 12 % bis 30 % in die Höhe. Außerdem offenbart eine monatsweise Betrachtung, dass der Hauptteil der nächtlich verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr während der Hauptreisezeit in den Sommermonaten produziert wird, d.h. eine bloße Frage der Flugbewegungsdichte ist – vgl. NoFlyHAM-Blogbeiträge „Wer zu spät fliegt“ und „Vollkoordiniert Planlos„.

Nahezu naiv kommt die Einlassung des Billigfliegers Ryanair daher – einer der Hauptverursacher der nächtlich verspäteten Starts und Landungen sowohl in Hamburg (HAM) als auch in Frankfurt (FRA) – mit folgender Behauptung: „Die Flugsicherungen haben zu wenig Personal angestellt, um alle Flüge abwickeln zu können. Die Situation ist an den Wochenenden besonders schlimm und vor allem die britische und die deutsche Flugsicherung verstecken sich hinter dem schlechten Wetter und beschönigenden Ausdrücken wie Kapazitätsrestriktionen. Es sei auffällig, dass das schlechte Wetter ungewöhnlich oft zum Wochenende aufgetreten sei; 60 % der wetterbedingten Verspätungen hätten Freitage und Samstage betroffen. Die aktuelle Lage sei unhaltbar“ – vgl. AeroTelegraph vom 14.06.18. Dass die Ramschairline selbst mit den wesentlich zu kurz kalkulierten Bodenstandzeiten ein maßgeblicher Verspätungstreiber ist, klammert Ryanair-Chef Michael O’Leary bewusst aus. Seinen Auftrag sieht er allein darin, die bestehende Gier nach Billigflügen maximal gewinnträchtig auszuschlachten.

Die Deutsche Flugsicherung (DFS GmbH) wehrt sich gegen den Anwurf von O’Leary folgendermaßen: „Im Jahr 2017 hatte ein verspäteter Flug im europäischen Luftraum in Schnitt 12,4 Minuten Verspätung. Lediglich 55 Sekunden pro Flug werden den Flugsicherungen zugerechnet. Diese Zahl enthält auch Verspätungen, die Flugsicherungen nicht beeinflussen können, zum Beispiel Streiks oder ungeplante Verkehrsverlagerungen. Der Anteil der Flugsicherungen an der Gesamtverspätung ist also nur gering“. Souverän klingt das auch nicht.

Fazit:

Würde man den obigen Ausführungen der FHG, DFS und Ryanairs Glauben schenken, dann dürfte es kaum einen nächtlich verspäteten Start oder eine nächtlich verspätete Landung geben. Da die überlaute Realität (vgl. NoFlyHAM-Blogbeiträge „Alarm“ und  „Amtshilfe“) anders daher kommt, ist der Wahrheitsgehalt der Aussagen offensichtlich gering. Unabhängig davon, wer die Wahrheit am meisten beugt, gibt es einen einfachen Weg, um endlich dem Belastungsübermaß wirksam Einhalt zu bieten: Aus den bestehenden lockeren Nachtflugbeschränkungen muss ein eindeutiges Nachtflugverbot werden. So wie es der BUND-Hamburg mit seiner Volkspetition „Nachts ist Ruhe – Fair für alle, gut für Hamburg“ zu Recht fordert. Hier ist die Hamburgische Bürgerschaft gefordert, der Flughafen-Genehmigungs- und -Kontrollbehörde (BWVI) klare Vorgaben zu machen (vgl. NoFlyHAM-Blogbeiträge „Appell an die Hamburgische Bürgerschaft“ und „Wege zur Belastungsreduzierung“)!