Fluglärmschutzkommissionen (FLSK) sind nach § 32b Luftverkehrsgesetz (LuftVG) an jedem deutschen Verkehrsflughafen vorgeschrieben, welcher dem Fluglinienverkehr angeschlossen ist und für den Lärmschutzbereiche nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm festgesetzt sind.
Aufgabe der Fluglärmschutzkommissionen ist, die jeweils für einen Verkehrsflughafen zuständige Genehmigungsbehörde (in Hamburg ist dies die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation – BWVI) sowie die für die Flugsicherung aktuell zuständige Stelle (Deutsche Flugsicherung GmbH – DFS) bei Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm und gegen Luftverunreinigungen durch Luftfahrzeuge fachlich zu beraten. Die FLSK wirkt beispielsweise an der Festlegung von Abflugstrecken mit, die auf Vorschlag der DFS nach Anhörung der FLSK vom Luftfahrtbundesamt als Verordnung erlassen werden oder auch bei Ergreifung von notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung von Regelverstößen (z.B. gegen örtliche Nachtflugbeschränkungen), verursacht durch Fluggesellschaften aus Fahrlässigkeit oder zur Gewinnmaximierung.
Die FLSK hat ein Vorschlagsrecht für Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm oder zur Verringerung der Luftverunreinigungen durch Luftfahrzeuge. Falls die Genehmigungsbehörde bzw. DFS den Vorschlägen / Empfehlungen nicht folgen, müssen sie dies der Kommission unter Angabe von Gründen mitteilen. Für den innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen „Helmut Schmidt“ sind aktuell folgende Vertreter*innen in die FLSK als stimmberechtigte (ehrenamtliche) Mitglieder durch die BWVI berufen:
Hamburger Interessensvertretung (n = 12):
- Bezirk Hamburg-Nord mit vier Personen (inkl. Vorsitz)
- Bezirk Eimsbüttel mit vier Personen
- Bezirk Wandsbek mit einer Person
- Bezirk Altona mit einer Person
- Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen mit einer Person
- Behörde für Umwelt und Energie mit einer Person
Interessensvertretung Schleswig-Holsteins (n = 8):
- Stadt Norderstedt mit einer Person
- Gemeinde Hasloh mit einer Person
- Stadt Quickborn mit einer Person
- Kreis Segeberg mit einer Person
- Kreis Pinneberg mit einer Person
- Kreis Stormarn mit einer Person
- Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie mit einer Person
- Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume mit einer Person
Interessensvertretung der Luftverkehrswirtschaft (n = 3):
- Flughafen Hamburg GmbH mit einer Person
- Deutsche Lufthansa AG mit einer Person
- TUIfly.com mit einer Person
Luftverkehrslobby (n = 1):
- Handelskammer Hamburg mit einer Person
Für die Vertretung der Belange der vom Fluglärm und Flugdreck betroffenen Bürgerinnen und Bürger (n = 3):
- Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) mit drei Personen
Zusätzlich zu den 27 stimmberechtigten Mitgliedern (w/i/m) nehmen noch die Fluglärmschutzbeauftragte (FLSB), die FLSK-Geschäftsführung, Vertreter*innen der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation und der Deutschen Flugsicherung GmbH sowie regelmäßige und temporäre Gäste an den Sitzungen teil. Bisher hat die FLSK in ihrer 47-jährigen Geschichte 228 Mal getagt. Die FLSK-Sitzungsprotokolle werden regelmäßig im Internet veröffentlicht.
Abb.: Mehr Flugpassagiere bedeuten zwangsläufig mehr Fluglärm und mehr Flugdreck – wer anderes behauptet, lügt. In den Jahren 2013 bis 2016 sind die Passagiertransportmengen um 20,2 % gestiegen. Damit einhergehend nahm die Anzahl an gewerblichen Flugbewegungen (d.h. Linien- und Touristikflüge) um 12,2 % zu. Gleichzeitig nahm die Ausbreitung des Fluglärmteppichs (d.h. die räumliche Ausdehnung der 62 dB(A)-Fluglärm-Dauerschallisophone) um 12,9 % zu, die die tatsächlichen Lärmverhältnisse besser abbildende Fluglärmsumme (d.h. die Summe der Einzelschallereignisse der zwölf offiziellen Fluglärm-Messstellen) sogar um 22,9 %. Aber auch die flugverkehrsbedingte NOx-Belastung ist in diesem Zeitraum um 9,9 % gestiegen. Vgl. NoFlyHAM-Blogbeiträge „Objektiver Lärmzuwachs“, „Unverhältnismäßig“ und „Luftverschmutzung, nur so zum Spaß“
Am 04. Dezember 2017 wurde durch den Vorsitzenden der FLSK Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Nord, Herrn Rösler, folgender Beschluss der FLSK zur Eindämmung der nächtlich verspäteten Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit von 23 Uhr veröffentlicht: „Fluglärmschutzkommission empfiehlt Änderung der Verspätungsregelung – Die Fluglärmschutzkommission (FLSK) für den Flughafen Hamburg hat in ihrer 228. Sitzung am 01.12.2017 mehrheitlich eine Empfehlung zur Veränderung der geltenden Verspätungsregelung beschlossen. Wie der Kommissionsvorsitzende, Bezirksamtsleiter Harald Rösler, mitteilte, empfahl die Kommission nach ausführlicher Diskussion, die aktuelle Verspätungsregelung für den Hamburger Airport zu ändern. Die Änderung zielt darauf ab, zukünftig keine (pauschale) Verspätungsregelung für Starts nach 23:00 Uhr und für Landungen nach 23:30 Uhr zuzulassen. Das Luftfahrthandbuch sollte dahingehend geändert werden, dass bei Landungen im planmäßigen Fluglinien- und regelmäßigen Pauschalreiseverkehr mit planmäßigen Ankunftszeiten vor 23:00 Uhr, bei nachweisbar unvermeidbaren Verspätungen Landungen bis 23:30 Uhr (bisher 24:00 Uhr) zulässig sein können. Die Gründe für die einzelnen Verspätungen nach 23:00 Uhr und die Namen der jeweiligen Piloten sind der Fluglärmschutzbeauftragten spätestens am fünften auf die Verspätung folgenden Werktag schriftlich und glaubhaft darzulegen. Hintergrund der Kommissionsempfehlung war die seit geraumer Zeit besorgniserregende Zunahme verspäteter Starts und Landungen und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Nachtruhe“
Sofort stellt sich die Frage, ob diese vorgeschlagene Neuregelung in der Lage ist, das bestehende Verspätungsdebakel wirksam einzudämmen. Hierzu folgende Ableitung: Bis zum Jahresende ist am „Helmut Schmidt-Airport“ mit insgesamt ca. 1.100 nächtlich verspäteten Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit von 23 Uhr zu rechnen. Davon entfallen ca. 315 der Flugbewegungen auf Starts nach 23 Uhr. Diese würden komplett unter die empfohlene FLSK-Neuregelung fallen, d.h. sie bedürften zukünftig einer Einzelfreigabe. Bei den Landungen nach 23 Uhr sieht dies hingegen anders aus. Von den ca. 775 nächtlich verspäteten Landungen nach 23 Uhr entfallen lediglich 25 % auf den Zeitraum nach 23:30 Uhr; entsprechend ca. 195 Flugbewegungen. Nur für diese müssten zukünftig Einzelfreigaben eingeholt werden, für den großen Rest hingegen bliebe alles beim Alten, d.h. der pauschalen Genehmigungsfiktion. In Summe würde die Neuregelung daher lediglich ca. 510 gewerbliche Linien- und Touristikflüge betreffen. Bei einer zu erwartenden Gesamtanzahl an Linien- und Touristikflügen im Jahr 2017 von ca. 147.500 Flugbewegungen beträfe der FLSK-Vorschlag demnach nur 0,3 % aller entsprechenden Flugbewegungen. Ein äußerst moderater (wirtschaftshöriger) Vorschlag, der daher auch nur sehr bedingt Anklang bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern fand. Ganz anders fiel dagegen die Reaktion der Luftverkehrslobbyisten aus. Die Bergedorfer Zeitung vom 05. Dezember 2017 arbeitet die Konfliktlinien in diesem Zusammenhang gut heraus:
„Die Empfehlung unterstützt mich in meiner Arbeit“, sagte die in der Umweltbehörde arbeitende Fluglärmschutzbeauftragte Gudrun Pieroh-Joußen. „Vor allem die immer häufigeren verspäteten Starts nach 23 Uhr sorgen bei uns für eine Vielzahl an Beschwerden.“ Pieroh-Joußen verwies auf eine Erhöhung der Gebühren 2015 und 2017 für verspätete Flüge und eine 2016 gestartete Pünktlichkeitsoffensive der Stadt mit dem Flughafen und fünf großen Airlines. „All das war bislang nicht erfolgreich“, sagte Pieroh-Joußen. Allerdings hätten die Fluglinien nicht gleichermaßen ein Problem mit der Pünktlichkeit. „Einige Airlines strapazieren die Verspätungsregelung stark – bei den Starts betrifft das insbesondere Billigflieger“, sagte die Fluglärmschutzbeauftragte.
Während etwa Manfred Braasch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) von einem „halben Schritt in die richtige Richtung“ sprach und ein Nachtflugverbot schon ab 22 Uhr forderte, hieß es von der Handelskammer, eine Änderung der Regelung berge „große wirtschaftliche Risiken“ für Hamburg. Das sieht auch Flughafenchef Michael Eggenschwiler so: „Jede Einschränkung hat negative Auswirkungen für die Erreichbarkeit der Metropole sowie für die Mobilität und Arbeitsplätze der Menschen in der Region“, sagte er. Die zuständige Wirtschaftsbehörde teilte mit, eine Änderung der Regelung sei „rechtlich nicht angezeigt“.
Die Empfehlungen der FLSK, das Nachtflugverbot (gemeint ist die bestehende, äußerst lockere Nachtflugbeschränkung) zu verschärfen, haben am Montag für viele Reaktionen von Befürwortern und Gegnern der Maßnahmen gesorgt. Landungen um 30 Minuten auf 23.30 Uhr vorzuziehen und Starts nach 23 Uhr nicht mehr zuzulassen, sei „bloße Makulatur“, sagte Martin Mosel, Sprecher der Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein. „Die Nachtruhe beginnt um 22 Uhr. Die Verkürzung der Verspätungsregelung ist unzureichend.“ Den Betroffenen nütze das wenig: „Weiterhin werden ihnen wichtige Schlaf- und Erholungszeiten vorenthalten und gesundheitliche Belastungen aufgebürdet“, sagte Mosel. Das sieht auch der BUND so. „Derzeit landen und starten alle drei Minuten Flugzeuge zwischen 22 und 23 Uhr – ein unerträglicher Zustand für Zigtausende Anwohner“, sagte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch.
Von einer „unwürdigen Schacherei auf Kosten der Betroffenen“, sprach Stephan Jersch von der Linken-Fraktion. Die Grünen teilten mit, „die Verspätungssituation nach 23 Uhr sei sehr unbefriedigend und nicht hinnehmbar“. Die Fluggesellschaften sollten durch eine verbesserte Planung in Zukunft Verspätungen stärker vermeiden, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Eine Änderung der Verspätungsregelung müsse „in Betracht gezogen werden“. Von „wichtigen Hinweisen“ der Kommission sprach SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Auch er hält die Verspätungen für „inakzeptabel“. Allerdings: „Es gibt eine Vielzahl von Interessen, die wir unter einen Hut bringen müssen. Wir streben einen Ausgleich der Interessen an.“
Während Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD) für die zuständige Wirtschaftsbehörde mitteilte, die aktuelle Verspätungsregelung sei bereits „Ausdruck eines angemessenen Interessensausgleichs zwischen den verkehrlichen Belangen und dem notwendigen Schutz der Anwohner“, befürchten Wirtschaftsvertreter eine Verschiebung, die Hamburg ökonomisch schaden könnte. „Bei allem Verständnis für die vom Fluglärm Betroffenen läuft Hamburg jetzt Gefahr, in die Provinzialität zurückzufallen“, sagte Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. „Wir müssen weiterhin attraktiv für Touristen bleiben“, sagte Nolte. In dasselbe Lobbyhorn posaunt Uli Wachholtz (Präsident der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UV-Nord)): „So sehr verspätete Starts und Landungen die Nachtruhe Einzelner beeinträchtigen können, so wenig hat offenbar die Kommission die wirtschaftlichen Auswirkungen im Blick“ (SHZ, 04.12.17)
Am 15. Dezember (NDR, 15.12.17) legt dann der Chef der kommerziellen Flughafenbetreibergesellschaft (Flughafen Hamburg GmbH – FHG), Michael Eggenschwiler, noch eine Schippe Panikmache drauf: Angeblich drohten bei Umsetzung der FLSK-Empfehlungen Umsatzeinbußen von 20 Mio. Euro. Zusätzlich seien angeblich 200 Arbeitsplätze gefährdet. Wie bitte? – Eine Schutzmaßnahme für die Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm, die lediglich 0,3 % des Luftverkehrsaufkommens im Jahr betrifft soll eine derart weitreichende wirtschaftliche Auswirkung bedingen? Völlig unglaubwürdig! Der Umsatz der FHG betrug im Jahr 2016 ca. 300 Mio. Euro. Die von der FHG bedrohlich ausgemalten 20 Mio. Euro Mindereinnahmen würden demnach knapp 7 % Umsatzeinbuße ausmachen. Dies entspräche einem „monetären Hebel“ um den Faktor 22. Selbst einem eindimensionalen Luftverkehrslobbyisten muss klar werden, dass ein derart konstruiertes Bedrohungsszenario blanker Humbug ist! Zumal es im Kern bei der empfohlenen Neuregelung lediglich darum geht, die derzeit bestehende (und überhäufig missbräuchlich ausgenutzte) pauschale Genehmigungsfiktion in nachvollziehbare Einzelgenehmigungen umzuwandeln. Mitnichten wird am bestehenden Betriebszeitende von 23 Uhr gerüttelt, was jedoch notwendig wäre, um einen hinreichenden Interessensausgleich zu schaffen. Ob sich zudem durch die empfohlene Neuregelung tatsächlich eine (deutliche) Reduzierung der nächtlich verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr einstellen würde, ist offen. Zumindest wird auch zukünftig bei nachgewiesenermaßen unvermeidbaren Verspätungsgründen ein Start bzw. eine Landung nach 23 Uhr per Einzelgenehmigung möglich sein.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Hamburgische Bürgerschaft hat den Reformationsbedarf hinsichtlich der Schutzmaßnahmen der Bevölkerung bereits vor Jahren erkannt und sich mit dem jeweils einvernehmlich (d.h. parteiübergreifend) beschlossenen 10-Punkte-Plan und 16-Punkte-Plan deutlich dahingehend positioniert, dass die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger – verursacht durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafens – wesentlich zu reduzieren sind. Die bisherigen Maßnahmen (Pünktlichkeitsoffensive und Entgeltnovellierung) greifen nachgewiesenermaßen nicht. Den sehr moderaten Vorschlag der FLSK hat die Genehmigungsbehörde brüsk abgelehnt. Es wird daher spannend, mit welcher „weißen Salbe“ im Jahr 2018 die vom Fluglärm und Flugdreck betroffenen Bürgerinnen und Bürger von den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Verwaltung und Politik vertröstet (hingehalten) werden sollen …
Abb.: „Placebo domino in regione vivorum“ aus Les Très Riches Heures du Duc de Berry; 15. Jahrhundert – Im Lande der Lebenden, werde ich dem Herrn gefallen. Anstatt die Ursachen eines Übels wirksam zu bekämpfen, werden mit scheinheiligen, unechten Ersatzleistungen (Placebos) lediglich Symptome (kurzfristig) überdeckt
P.S.: Die kategorische Verweigerungshaltung der FHG und der BWVI selbst minimale Kapazitätseinschränkungen (Quantensprünge) zum Schutz der Bevölkerung vor vermeidbarem – und damit verbunden unzumutbarem – Fluglärm anzunehmen, entzieht jegliche Dialoggrundlage; sowohl bzgl. der Zusammenarbeit in der Fluglärmschutzkommission als auch in der Allianz für Fluglärmschutz. Eins jedoch ist gewiss: Die bisher seitens der Luftverkehrslobbyisten praktizierte „Leugnen-Verharmlosen-Ablenken-Taktik“ wird auf Dauer scheitern.