Wer die Nachtruhe stört …

Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Leider unterbleibt allzu oft der zweite Schritt: Entsprechend geänderte Handlungsweisen an den Tag (und die Nacht) zu legen. Hoffentlich unterliegt Eurowings-Chef Thorsten Dirks nicht dem (spröden) Charme von Jahresplänen Punkteplänen, sondern erkennt, dass das Wirtschaftsmodell der Billigfliegerei zunehmend instabil wird. Die Branche der Discounterairlines ist weitgehend „ausoptimiert. Während die Fixkosten (Kerosin, Personal, Flugzeugwartung und -finanzierung, Start- und Landegebühren, Fluggast-Entschädigungszahlungen) kontinuierlich steigen, sinkt die Bereitschaft der Kunden, ihre wertvollen Urlaubsstunden mit stressigen Abfertigungsritualen und beklemmender Enge im Flugzeug (inkl. penetranten Werbeverkaufsveranstaltungen) zu verbringen.

Sowohl die luftverkehrsseitige als auch die landgebundene Infra– und Suprastruktur stößt immer häufiger an ihre Grenzen; eine Erweiterung dieser „Hemisphären“ ist nahezu ausgeschlossen. Als Folge der geänderten Rahmenbedingungen sinken seit Jahren die Margen, d.h. die Konzernrenditen nach Abzug der Steuerleistung. Um es bildlich auszudrücken, die Zitrone ist bis auf den letzten Saftschlauch ausgepresst, sogar die Schale ist bereits abgerieben …

Abb. 1: „Die gleichmäßige Durchdringung von Vernunft und Natur“ – Blick aus einem Orangen- und Zitronenhain auf den Golf von Neapel. Erinnerung an Sorrent (1828) von Carl Gustav Carus (Artsolutions). Die historische Entwicklung von Reisen unterteilt sich in IVorphase: bis ca. 1850; Transportmittel: zu Fuß, zu Pferd, Kutsche, zum Teil Schiff; Motivation: Nomaden, Pilger, Kriege. II – Anfangsphase: 1850 – 1914; Transportmittel: Bahn (Inland), Dampfschiff (Ausland); Motivation: Erholung, Handel, Entdeckung, Bildung. III – Entwicklungsphase: 1915 – 1938; Transportmittel: Bahn, Auto, Bus, Flug (Linie); Motivation: Kur, Erholung, Handel. IV – Hochphase: nach 1950; Transportmittel: Auto, Flug (Charter); Motivation: Regeneration, Erholung, Freizeit. V – Degenerationsphase: ab 2000; Transportmittel: Flugzeug (Billigflieger), Kreuzfahrtschiffe; Motivation: Exzessive Freizeitgestaltung (Spaßgesellschaft)

Eurowings soll wieder pünktlich fliegen“ titelt das Hamburger Abendblatt (HA) am 14. November 2018. Dies ist auch zwingend notwendig, denn diese Billigfluggesellschaft produziert mit Abstand die meisten Missachtungen der Nachtflugbeschränkung am „Helmut Schmidt-Airport“. Von den im Zeitraum Januar bis Oktober 2018 stattgefundenen 1.112 nächtlich verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr – d.h. außerhalb der in der Betreibergenehmigung festgeschriebenen Betriebszeit – gehen 348 (entsprechend 31 %) auf das Konto von Eurowings; zusammen mit der Kernmarke „Deutsche Lufthansa“ sind es sogar 43 %. easyJet folgt in diesem Negativranking mit 100 Missachtungen der Nachtflugbeschränkung. Dieser Billigheimer hat sich rausgenommen, sogar 69 Mal noch nach 23 Uhr zu starten. Die im Luftfahrthandbuch geforderte „Unvermeidbarkeit“ für derartiges Handeln ist nicht zu erkennen. Es sei denn, die zuständigen Aufsichtsbehörden (BWVI und BUE) sehen diese Praxis der Gewinnmaximierung zu Lasten Dritter als „unvermeidbar“ an. Ryanair steht easyJet in Punkto Regelmissachtung nur wenig nach; allenfalls, dass diese Discountairline es mit den nächtlich verspäteten Starts (noch) nicht so tolldreist treibt.

Abb. 2: Rangliste der unzuverlässigsten Fluggesellschaften bzgl. der Einhaltung der Nachtflugbeschränkung am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen im Zeitraum Januar bis Oktober 2018

Die Anteile der nächtlich verspäteten Starts und Landungen am „Helmut Schmidt-Airport“, d.h. nach 23 Uhr, variieren während des vergangenen Sommerflugplans zwischen minimal 15 % (April) bis maximal 30 % (Mai). Im Durchschnitt betrug über den siebenmonatigen Betrachtungszeitraum der Verspätungsanteil 24 %. Dies bedeutet, dass von ca. 4.600 Starts und Landungen, die zwischen 22 Uhr und 23 Uhr vorgesehen waren, 1.100 erst außerhalb der offiziellen Betriebszeit durchgeführt wurden – sehr zum Leid der vom Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den An- und Abflugschneisen sowie im Flughafen-Nahbereich.

Abb. 3: Gegenüberstellung der Anzahl nach 22 Uhr geplanter Linien- und Touristikflüge am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen und der Anzahl nach 23 Uhr stattgefundener Starts und Landungen sowie dem daraus resultierenden Verspätungsanteil. Den Auswertungszeitraum stellt der „Sommerflugplan“ vom 25.03. – 27.10.2018 dar

Allzu oft wird vom kommerziellen Flughafenbetreiber (FHG) als „Erklärung“ für das Übermaß an nächtlich verspäteten Starts und Landungen vorgebracht, dass Hamburg so weit im Norden läge, so dass die Flugwege so lang seien. Dieser Schutzbehauptung steht der Fakt gegenüber, dass es sich bei den Flugverbindungen mit den meisten Missachtungen der Nachtflugbeschränkung fast ausschließlich um Kurzstreckenflüge von weniger als 1.500 km handelt. Beispielsweise landeten im Jahr 2018 Flüge aus München (Flugstrecke: 600 km, Flugdauer: 75 Minuten) insgesamt bereits 158 Mal erst nach 23 Uhr. Nicht wesentlich besser sieht es für die Verbindungen aus Mailand (n = 116, Flugstrecke: 909 km, Flugdauer: 100 Min.), London (n = 102, Flugstrecke: 725 km, Flugdauer: 80 Min.) und Frankfurt (n = 85, Flugstrecke: 411 km, Flugdauer: 70 Min.) aus. Bei allen diesen Flügen steht bereits beim Start fest, dass die Nachtflugbeschränkung in Hamburg nicht beachtet werden kann soll. Derartiges Handeln wird im Allgemeinen als bedingter Vorsatz betrachtet. Im Luftverkehr nennt man es dagegen „nachweisbar unvermeidbar“.

Abb. 4: Rangliste der Flugverbindungen am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen mit den häufigsten Missachtungen der Nachtflugbeschränkungen, inkl. Entfernungsangabe. Auswertungszeitraum: Januar bis Oktober 2018

Als Fazit passt der verheißungsvolle Titel der WirtschaftsWoche (Ausgabe 41 vom 5. Oktober 2018): „Das Ende der Billigflüge – Warum das Geschäftsmodell von Eurowings, Ryanair und Co nicht mehr funktioniert. Nach dem Chaos-Sommer mit Rekordverspätungen stoßen die Discountairlines an ihre Wachstumsgrenzen. Steigende Spritkosten, überlastete Flughäfen und Managementfehler belasten die Bilanzen. Nun wird gespart, getrickst und an der Preisschraube gedreht – zulasten der Kunden“. Kurz gesagt: Schluss mit billig und das ist gut so; für Mensch und Umwelt!

P.S.: Am 16. November weist das HA darauf hin, dass sich im aktuellen Tarifkonflikt bei Eurowings die Fronten derart verhärtet haben, dass Streiks der Flugbegleiter*innen drohen – 13 Verhandlungsrunden konnten nicht einvernehmlich beendet werden. Ryanair hat diesen schmerzhaften Klärungsprozess bereits hinter sich. Knapp 250 Mio. Euro kosteten die diesjährigen Streiks die Billigairline. Da die Anzahl an geeigneten Flugbegleiter*innen am Markt begrenzt ist, konnten diese eine Gehaltssteigerung von 100 Mio. Euro pro Jahr durchsetzen. Gratulation.