Wohl der Allgemeinheit

Der Betrieb des innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafens hat das dauerhaft erträgliche Maß für die betroffenen Bürger*innen sowohl im Flughafennahbereich als auch in den An- und Abflugschneisen mittlerweile bei weitem überschritten. Dennoch bleibt es für die von den luftverkehrsbedingten Belastungen betroffenen Bürger*innen schwer, angemessen auszudrücken, was der permanente Raub der Stille bedeutet – insbesondere gegenüber denjenigen, die den Flughafen nutzen, jedoch selbst nicht unter Fluglärm zu leiden haben.

Am 22. März 2018 findet im Ausschuss für Umwelt und Energie der Hamburgischen Bürgerschaft eine öffentliche Expertenanhörung zu den Möglichkeiten der Eindämmung der Luftverkehrsbelastungen am „Helmut Schmidt-Airport“ statt. Hierbei wird es insbesondere um die BUND-Volkspetition für ein konsequentes Nachtflugverbot (werktags von 22 Uhr bis 6 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 22 Uhr bis 8 Uhr) gehen. Im Anschluss werden in der Hamburgischen Bürgerschaft entscheidende Weichen dahingehend gestellt, ob der grenzenlos ausufernden Zunahme von Billigflügen oder dem nachhaltigen Schutz der Bevölkerung mehr Gewicht gegeben werden soll.

Abb.:Ein besseres Hamburg für alle: Wer seine Stadt liebt, der engagiert sich für sie – und für die Menschen, die dort leben“, so lautet der Leitsatz der Patriotischen Gesellschaft zu Hamburg von 1765. Einen passenderen Ort für die Fluglärm-Expertenanhörung des Umweltausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft am 22. März 2018 gibt es kaum.

Im April 2014 befand die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt einvernehmlich, dass die Belastungen – verursacht durch den Betrieb des „Helmut Schmidt-Airports“ – deutlich zu reduzieren sind. Insbesondere die Einhaltung der geltenden Betriebszeit stand im Fokus. Wörtlich heißt es hierzu im sogenannten 10-Punkte-Plan (vgl. FHH Drs. 20/11593): „Der Senat wird ersucht, eine sehr strenge Einhaltung der Betriebszeiten sicherzustellen und gegenüber den Fluglinien auf eine weitere Reduzierung der Verspätungen und Ausnahmen hinzuwirken“. Im nächsten Jahr (2015) folgte der 16-Punkte-Plan (vgl. FHH Drs. 20/14334 und Drs. 21/10688), anschließend die sogenannte Pünktlichkeitsoffensive des Flughafenbetreibers und mehrerer Fluggesellschaften (2016) sowie die Flughafen-Entgeltnovellierung (2017). Ausnahmslos Zusagen an die Bevölkerung im Hinblick auf eine Reduzierung der luftverkehrsbedingten Belastungen. Alles Zusagen, die in der Realität keinen Bestand haben! Vgl. NoFlyHAM-Blogbeiträge „Amtshilfe“ und „Alarm“ sowie BAW-Stellungnahme zur Umsetzung des 16-Punkte-Plans.

Abb.: Acht von zehn Hamburger*innen nutzen den Verkehrsflughafen in Fuhlsbüttel, ohne selbst von den Negativfolgen des Flughafenbetriebes betroffen zu sein. Leider ist ein Teil der Nutzer*innen nicht bereit, Eigenverantwortung dahingehend zu übernehmen, die gesetzlich vorgeschriebene Nachtruhe einzuhalten und auf diese Weise einen hinreichenden Ausgleich zwischen ihrem Partikularinteresse (Mobilität) und dem Allgemeinwohl (körperliche und seelische Unversehrtheit) zu erzielen – dies zeigen die immer weiter steigenden Flugbuchungszahlen in den Tagesrandzeiten deutlich auf. Anscheinend mangelt es an Empathie und Mitgefühl für die Bürger*innen, die jeden Tag und einen großen Teil der Nacht – d.h. an 365 Tagen im Jahr bis zu 18 Stunden am Stück – eines maßgeblichen Teils ihrer Lebensqualität durch den überbordenden Flughafenbetrieb beraubt werden. Fest steht, dass ein Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit besteht, aber kein Recht auf Mobilität zu jeder Tages- und Nachtzeit!

Die Fluglärmschutzkommission (FLSK) des „Helmut Schmidt-Airports“ hat in ihrer 228. Sitzung Anfang Dezember 2017 mit großer Mehrheit eine Empfehlung zur Veränderung der geltenden Verspätungsregelung beschlossen. Die Änderung zielt darauf ab, zukünftig keine (pauschale) Verspätungsfreigabe für Starts nach 23:00 Uhr und für Landungen nach 23:30 Uhr mehr zuzulassen. Sofort stellt sich die Frage, ob diese vorgeschlagene Neuregelung in der Lage ist, die bestehende sehr hohe Verspätungsanzahl wirksam einzudämmen: In Summe würde die Neuregelung lediglich ca. 510 gewerbliche Linien- und Touristikflüge betreffen (vgl. NoFlyHAM-Blogbeitrag „Kein Quantum Ruhe“). Bei einer Gesamtanzahl an Linien- und Touristikflügen im Jahr 2017 von ca. 147.500 Flugbewegungen beträfe der FLSK-Vorschlag daher nur ca. 0,3 % aller kommerziellen Passagierflüge. Ein äußerst moderater Vorschlag, der deshalb nur sehr bedingt Anklang bei den betroffenen Bürger*innen fand. Ganz anders die (übertriebene) Reaktion auf der Wirtschaftsseite: Dort wird befürchtet, dass jede Einschränkung negative Auswirkungen für die Erreichbarkeit der Metropole sowie für die Mobilität und Arbeitsplätze der Menschen in der Region hätte und deshalb „nicht angezeigt“ sei. Folgsam hat die Hamburger Flughafen-Genehmigungs- und „Kontrollbehörde“ (BWVI) den FLSK-Vorschlag zunächst abgelehnt.

In der 229. FLSK-Sitzung Mitte Februar 2018 wurde seitens der BWVI überraschend zu Protokoll gegeben: „Der Hamburger Senat nimmt die Herausforderung, den für den gesamten norddeutschen Raum zentralen Verkehrsflughafen Hamburg mit den Schutzbedürfnissen der von diesem betroffenen Bevölkerung in einen verträglichen Ausgleich zu bringen, sehr ernst. In die Erwägungen des Senats wird auch die „Anregung“ der Fluglärmschutzkommission einbezogen werden. Die Prüfung (der fachlichen Empfehlung der FLSK!) erfolgt daher eingehend und ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Eine abschließende Stellungnahme kann und wird vor diesem Hintergrund erst im Rahmen einer der nächsten Sitzungen der Fluglärmschutzkommission erfolgen“.

Auf dem Papier herrscht in der Hamburgischen Bürgerschaft, im regierenden Senat sowie beim Flughafenbetreiber und bei den Fluggesellschaften große Einigkeit dahingehend, dass die Belastungen für die Bevölkerung durch den Betrieb des innerstädtisch gelegenen Verkehrsflughafens in Hamburg-Fuhlsbüttel zu reduzieren sind und insbesondere die Nachtruhe zu sichern ist. Die Wirklichkeit hingegen gestaltet sich in Gänze anders: Insgesamt zeigt sich, dass die in der bestehenden Betriebsgenehmigung der kommerziellen Flughafenbetreibergesellschaft (Flughafen Hamburg GmbH – FHG) festgelegten Ausnahmen der Nachtflugbeschränkung im Übermaß und in großen Teilen missbräuchlich genutzt werden. Abhilfe kann hier nur ein verbindliches Nachtflugverbot schaffen. Die Reduzierung der täglichen Betriebszeit am „Helmut Schmidt-Airport“ um eine Stunde von derzeit 17 Stunden auf zukünftig 16 Stunden (d.h. lediglich um 6 %) stellt ein gleichsam zielführendes wie verhältnismäßiges Instrument dar, um einen nachhaltigen Interessensausgleich zwischen dem Flughafenbetreiber und den Fluggesellschaften einerseits sowie den Betroffenen andererseits zu erreichen. Der jetzige gravierende Missstand ist nicht länger tragbar!

In einer Stadt, in der die eine Regierungspartei sich soziale Gerechtigkeit groß auf die Fahnen schreibt und die zweite Regierungspartei ihre Kernkompetenz im Bereich der Umweltgerechtigkeit sieht, sollte das Ergebnis der Interessensabwägung eindeutig ausfallen. Es sei denn, das jeweilige Gerechtigkeitsstreben endet dort, wo Wirtschaftslobbyismus umfassend bedient werden will. Daher stellt sich die Kernfrage: Wie viele gesunde Lebensjahre der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den An- und Abflugschneisen ist der Hamburger Senat bereit für seine Wachstumsgelüste („Weltstadtstreben“) zu opfern?