Deutungshoheit

Nachdem das vergangene Jahr 2017 das lauteste Flugjahr am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen seit Beginn des Jahrhunderts und gleichzeitig das Flugjahr mit den meisten nächtlich verspäteten Starts und Landungen von Linien- und Touristikflügen seit Beginn der kommerziellen Passagierluftfahrt an diesem Standort war (vgl. BUND-Fluglärmreport), stellt sich die Frage, wie sich die Belastungskennzahlen im aktuellen Jahr entwickeln:

Der länderübergreifende Arbeitskreis „Luftverkehr“ des BUND-Hamburg hat die Anzahl an nächtlich verspäteten Starts und Landungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit nach 23 Uhr am „Helmut Schmidt-Airport“ für die ersten drei Monate des Jahres 2018 ausgewertet. Im Gegensatz zu den Monatsberichten des kommerziellen Flughafenbetreibers (FHG), der allzu gern die stetige Belastungszunahme dadurch zu relativieren versucht, dass die aktuellen Zahlen lediglich mit den Vorjahresmonaten verglichen werden (vgl. „Shifting Baseline Syndrom“), greift der BUND auf einen mehrjährigen Vergleichszeitraum zurück. Außerdem leitet er eine maximal tolerable Anzahl an jährlichen Starts und Landungen nach 23 Uhr ab, die maßstabbildend sind. Im Hamburger Abendblatt wird zu den unterschiedlichen Sichtweisen ausführlich berichtet: „Neuer Lärm-Rekord: Wieder deutlich mehr verspätete Flüge“ sowie „Fast doppelt so viele Nachtflüge über Hamburg“.

Abb. 1: Vergleich der Anzahl (Jahressummenkurven) an nächtlich verspäteten Starts von Linien- und Touristikflügen zwischen 23 Uhr und 6 Uhr am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen der Jahre 2011 bis 2018

Obwohl die Anzahl von Linien- und Touristikflügen am „Helmut Schmidt-Airport“ insgesamt leicht rückläufig ist, steigen die Nachtflugbewegungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit auf einen neuen Negativrekord. Insgesamt fanden von Januar bis März 2018 bereits 159 nächtlich verspätete Landungen und 31 nächtlich verspätete Starts statt. Mit zusammen 190 Flugbewegungen außerhalb der offiziellen Betriebszeit ist dies mit Abstand der schlechteste Jahresstart seit mindestens 2011. Während des Winterflugplans (November 2017 – März 2018) besonders negativ auffallend war der Flieger aus München „LH2086“ der Deutschen Lufthansa, der insgesamt 30 Mal erst nach 23 Uhr landete. Es folgt die Flugverbindung nach London (Stansted) „FR1519“ des Billigfliegers Ryanair. Dieser Flieger startete 14 Mal erst nach 23 Uhr. Hier deuten sich große Parallelen zu easyJet aus dem vergangenen Sommerflugplan 2017 an (vgl. NoFlyHAM-Blogbeitrag „Amtshilfe“). In der Malusliste der unzuverlässigsten Fluglinien folgen Eurowings „EW7049“ mit 12 nächtlich verspäteten Landungen aus Stuttgart und WizzAir „W67750“ mit 11 nächtlich verspäteten Starts nach Skopje.

Abb. 2: Vergleich der Anzahl (Jahressummenkurven) an nächtlich verspäteten Landungen von Linien- und Touristikflügen zwischen 23 Uhr und 6 Uhr am innerstädtisch gelegenen Hamburger Verkehrsflughafen der Jahre 2011 bis 2018

Die Zahlen sind eindeutig: Keines der von Politik und Airport angekündigten Instrumente zeigt Wirkung und es wird nachts immer lauter. Die Lebensqualität vieler Hamburgerinnen und Hamburger wird den betriebswirtschaftlichen Interessen des Flughafens und der Fluggesellschaften bedingungslos untergeordnet und die Politik sieht hilflos zu“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg, zu den Verspätungsauswertungen des ersten Quartals 2018.

Martin Mosel, Sprecher der Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW), ergänzt dazu: „Erneut zeigt sich, dass weder der 10-Punkte-Plan, noch der 16-Punkte-Plan, geschweige denn die sogenannte Pünktlichkeitsoffensive und Entgeltnovellierungen es vermocht haben, eine Belastungsreduzierung am Hamburger Flughafen zu erzielen. Was den Betroffenen jetzt nur noch hilft, ist eine konsequente Einschränkung der Betriebserlaubnis durch den Erlass eines Nachtflugverbotes, werktags von 22 Uhr bis 6 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 22 Uhr bis 8 Uhr, um einen hinreichenden Interessensausgleich zwischen dem Flughafenbetreiber und den Fluglinien einerseits und den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern andererseits zu erreichen. Das rechtliche Mittel hierzu ist die EU-Betriebseinschränkungsverordnung (EU 598/2014).“

Im Jahresvergleich schwanken gerade die Zahlen im ersten Quartal sehr stark“ , meint dagegen Flughafensprecherin Katja Bromm. Die bis in das Jahr 2011 zurückreichende BUND-Statistik zeigt diese angeblichen Schwankungen allerdings nicht. Die verspäteten Landungen pendelten im Betrachtungszeitraum um die 100er Marke, nur 2014 waren es signifikant weniger. Die verspäteten Starts lagen in allen Jahren seit 2011 deutlich unter der 20er Marke. Die Flughafen-Sprecherin verweist als „Begründung“ für den nochmaligen Belastungsanstieg auf den langen Winter, der sich im März bemerkbar gemacht habe. Das Wetter gaben allerdings nur 22 Prozent der Fluggesellschaften als Verspätungsgrund an. Hauptursächlich war erneut die Umlaufverspätung (d.h. die systematisch zu gering geplanten Standzeiten am Boden). Diese bauten sich über den Tag auf – Eis, Schnee, Nebel oder Gewitter können allenfalls einen zusätzlichen Anteil zum Verspätungsaufkommen und -ausmaß beigetragen haben. Auffällig ist, dass jede siebte Fluggesellschaft die Flugsicherung als Verspätungsgrund nannte. Hier deutet sich eine Überlastung des oberen Flugraums über Deutschland bzw. Teilen von Europa an …

Fazit:

Der Betrieb eines innerstädtischen Flughafens inmitten einer dicht besiedelten Metropolregion bedingt die umfassende Rücksichtnahme auf die vom Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowohl im Nahbereich um den Flughafen als auch in den An- und Abflugkorridoren bis weit in das Umland hinaus. Fest steht in diesem Zusammenhang, dass es kein Recht auf Billigflieger, jedoch eines auf körperliche und seelische Unversehrtheit gibt. In einer Stadt, in der die eine Regierungspartei sich soziale Gerechtigkeit groß auf die Fahnen schreibt und die zweite Regierungspartei ihre Kernkompetenz im Bereich der Umweltgerechtigkeit sieht, sollte das Ergebnis einer Interessensabwägung eindeutig ausfallen. Es sei denn, das jeweilige Gerechtigkeitsstreben endet dort, wo Wirtschaftslobbyismus umfassend bedient werden will.

Die Bekämpfung des Fluglärms ist nicht nur nach wissenschaftlichen Erkenntnissen im Interesse der körperlichen Integrität der Bürgerinnen und Bürger strikt geboten, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Abwägungen. Die Fluglärmbekämpfung ist eine nicht endende grundrechtliche Pflicht, deren Erfüllung nicht ausschließlich davon abhängen kann, welche Maßnahmen gegenwärtig technisch machbar oder wirtschaftlich bzw. politisch opportun sind. Die Reduzierung der täglichen Betriebszeit am „Helmut Schmidt-Airport“ um eine Stunde von derzeit 17 Stunden auf zukünftig 16 Stunden (d.h. lediglich um 6 %) stellt ein gleichsam zielführendes wie verhältnismäßiges Instrument dar, um einen nachhaltigen Interessensausgleich zwischen dem Flughafenbetreiber und den Fluggesellschaften einerseits sowie den Betroffenen andererseits zu erreichen. Dies sollten die Abgeordneten zunächst im Umweltausschuss und später dann in der Hamburgischen Bürgerschaft bei der Mitte Mai anstehenden Entscheidung über die BUND-Volkspetition „Nachts ist Ruhe – Fair für alle, gut für Hamburg“ beherzigen.